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26.06.2019, 08:16 Uhr
Neon: die Schweizer Internet-Bank
Neon möchte wie Revolut sein, aber mit helvetischen Qualitäten. Der Grad des Scheiterns ist fast schon beeindruckend.
Die altehrwürdigen Banken stehen vor einem ernsten Problem im Geschäft mit den Privatkunden. Zwar braucht jeder von uns in irgendeiner Form ein Geldinstitut. Aber kaum jemand braucht eine Bankfiliale oder sogar einen Banker. Nur das Konto, bitte.
Das (mutmassliche) Vorbild
Diesen Umstand macht sich unter anderem die britische Internet-Bank Revolut zunutze, die unterdessen eine beachtliche Popularität erreicht hat, auch in der Schweiz: Es gibt nur die App und die Kreditkarte – aber keine Filialen, Prospekte und Banker. Das funktioniert hervorragend, denn die App erfüllt die wildesten Wünsche in Echtzeit, bietet unschlagbar tiefe Kurse und absolute Transparenz. Vor allem aber sind die App, (Fremdwährungs-) Konten und andere elementare Dienste kostenlos. Stattdessen verdient Revolut sein Geld mit Dienstleistungen, die über diese Basis-Funktionen hinausgehen. (Alle Details finden Sie in unserem ausführlichen Test.)
Allerdings gibt es auch bei Revolut (noch) einige Schönheitsfehler. So besitzt das junge Unternehmen zurzeit nur eine litauische Bankenlizenz für Europa. Es gibt keinen Einlagenschutz in der Schweiz. Und weil Revolut in England beheimatet ist, schwingt stets ein Hauch von Brexit mit – auch wenn immer wieder beteuert wird, dass man auf diese Situation bestens vorbereitet ist.
Was ist Neon?
Neon gibt sich zwar vom Auftritt her ähnlich frisch und unverbraucht wie Revolut, aber hinter den Kulissen ist die Situation eine andere. Die App und das ganze Drumherum stammen zwar vom gleichnamigen Jungunternehmen, doch die Kontoverwaltung obliegt der Hypothekarbank Lenzburg. Es handelt sich dabei also um ein klassisches Schweizer Konto, das nur über App erreichbar ist. Auch Filialen gibt es keine. Hingegen sind die Einlagen bis 100’000 Franken geschützt – genauso, wie man es von einer «richtigen Schweizer Bank» eben erwartet.
Konto und Kreditkarte
Die Kontoführung ist bei Neon kostenlos, genauso wie die zugehörige Mastercard. Sie ist direkt mit dem Konto verknüpft und nimmt damit die Rolle der bestens bekannten Maestro-Karte ein. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine klassische Kreditkarte, denn Kontoüberzüge sind nicht möglich – «es hät, solangs hät». Demzufolge fallen auch keine horrenden Zinsen an. Die Karte ist (natürlich) NFC-fähig, kann also für das kontaktlose Bezahlen verwendet werden. So weit, so Revolut. Allerdings wird kein Apple Pay oder Google Pay unterstützt; beides soll irgendwann nachgereicht werden.
Weil es sich bei Neon um ein klassisches Schweizer Bankkonto handelt, kommt es mit einer eigenen IBAN, während sich alle Revolut-Inhaber in der Schweiz eine IBAN bei der Credit Suisse teilen. In der Praxis ist das unerheblich, denn Einzahlungen sind in beiden Fällen kostenlos. Allerdings gibt es alle Leistungen bei Neon ab 16 Jahren, was dieses Konto auch für Lehrlinge interessant macht, während ein Revolut-Konto erst ab 18 Jahren zu haben ist. Die Altersgrenze von 18 Jahren gilt übrigens auch für die Bank Zak von Cler, die wir hier unter die Lupe genommen haben.
Die Anmeldung (es wird hässlich)
Doch am Anfang steht die Anmeldung in der App für iOS oder Android. Banken müssen wissen, mit wem sie es zu tun haben – so will es das Gesetz. Bei Revolut werden während der Anmeldung die beiden Seiten des Ausweises fotografiert und ein Selfie geschossen. Das war’s. Die Anmeldung funktioniert zu jeder Tages- und Nachtzeit, die Bestätigung dauert keine zehn Minuten.
Bei Neon wird die Identität hingegen über einen Videochat durchgeführt. Das dürfte nicht nach jedermanns Geschmack sein. Es kommt aber noch besser: Dieser Chat wird von Intrum durchgeführt. (Machen Sie sich keine Sorgen, wenn sich jetzt Ihre Eingeweide verkrampfen – das ist in der Schweiz eine völlig normale Reaktion und zeigt, dass Ihre Instinkte hellwach sind.) Ich wollte die Anmeldung am Pfingstmontag durchführen, was scheiterte. Versuchen Sie es auch nicht am Sonntag, am frühen Morgen oder am späten Abend.
Unangenehmer Vollkontakt
Am nächsten Tag erhielt ich per E-Mail die Aufforderung zum Videochat innerhalb der Neon-App. Dabei musste ich auch meinen Ausweis zeigen und einige Fragen beantworten. Die ganze Prozedur dauerte etwa zehn Minuten und war sehr unangenehm. Das lag auch daran, dass die Agentin ohne Vorwarnung zur anderen Kamera wechselte und dabei in mein Wohnzimmer linste. Und obwohl ich eigentlich eher locker drauf bin, ärgerte ich mich, dass ich vom anderen Ende einfach geduzt wurde. Seid Ihr jetzt eine Bank oder ein Club?
Wäre es dabei nicht um diesen PCtipp-Test gegangen, hätte ich mich mitten im Chat dankend verabschiedet.
Das endlose Warten
Kann das Konto jetzt endlich genutzt werden? Nein. Zuerst muss der Zugangscode abgewartet werden, der per E-Mail geschickt wird. Das sollte «ein bis zwei Tage» dauern, hiess es. (Warum zum Geier dauert das so lange?) Tatsächlich verstrichen geschlagene vier Tage, bis der Code kam und die App zum ersten Mal richtig gestartet werden konnte.
Das ist einfach nur peinlich für Neon und entwürdigend für die Kunden.
Zum Vergleich: Bei Revolut steht ab der ersten Sekunde nach der Anmeldung eine virtuelle Kreditkarte zur Verfügung, die für Online-Einkäufe verwendet werden kann. Die physische Karte wird dann direkt aus London geschickt – und die hielt ich in weniger als der Hälfte der Zeit in den Händen.
Der Ablauf der Ereignisse in der Zusammenfassung:
Tag 1: Pfingstmontag – nichts geht, aber das ist verständlich
Tag 2: Videochat mit Intrum – die Identität ist verifiziert
Tag 6: Ich erhalte den Zugangscode zum Konto, die App startet jetzt wenigstens
Tag 8: Ein Brief mit der PIN zur Kreditkarte trifft ein – aber keine Kreditkarte
Tag 10: Jetzt ist auch die Kreditkarte da.
So viel zum Versprechen «Kontoeröffnung in 10 Minuten».
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