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28.08.2000, 08:45 Uhr
Viren-Mücke mutiert zu Presse-Elefanten
Wie es auch Computerviren tun, nehmen News bekanntlich den Weg des geringsten Widerstands. Und so werden aus mickrigen Viren wahre Presse-Elefanten. Eine Geschichte, wie sie kürzlich passiert sein könnte.
Es war einmal, so gegen Ende Juni 2000, ein Virenlabor in Japan, vielleicht sogar in Tokio. Dieses erhielt eine Mail von einem aufmerksamen Kunden, der einer Mail-Beilage nicht über den Weg traute. Die Jungs und Mädels des Virenlabors fanden es schnell heraus: Es handelte sich um einen Loveletter-Nachfolger, der sich beim potentiellen Empfänger zuerst als freundlicher Gruss eines Pokemon-Charakters einschleimt. Wie gewohnt ergänzte der Webmaster des Virenbekämpfers die "Viren-Neuzugänge" auf der vielbesuchten Webseite. Natürlich unterliess er es nicht, die witzigen Details und Bildchen des Virus zu publizieren. Schliesslich ist das Bild des knuddeligen Kuschel-Monsters namens "Pikachu" ein wichtiges Erkennungsmerkmal des Schädlings. Ein kleiner VBS-Virus unter vielen, nicht der Rede wert.
Zufällig begab es sich, dass ein Tokioter Zeitungsreporter Wochen später beim gierigen Suchen nach Frischfleisch auf diese neue Virenbeschreibung stiess. Da in Japan die Pokemons nicht nur ein Spleen der Kids sind, witterte der Zeitungsreporter seine Chance. "Fein!", dachte er. "Ein Pokemon-Virus ist genau das, wofür sich meine Leser interessieren!" Er griff beherzt zum Telefonhörer und quetschte einen Mitarbeiter des Labors über diesen Virus aus. Der freundliche Virenexperte gab bereitwillig Auskunft. Kaum hatte der eifrige Reporter seinen Stoff zusammen, hechtete er an seine Schreibmaschine (oder an die PC-Tastatur) und tippte seinen Bericht über den zerstörerischen und heimtückischen Monster-Virus.
Sein Artikel erschien in der Abendausgabe einer japanischen Zeitung. Und nun geschah das Unerwartete: Die Meldung wurde irrtümlich von einer grossen internationalen Nachrichten-Agentur aufgeschnappt. Von deren Datenbank aus nahm der Virus - zumindest in Berichtsform - seinen Weg genau dorthin, wo ihn später die ganze Welt sehen sollte: Plötzlich erschienen darüber Berichte in Tausenden von Zeitungsberichten und Internet-Newstickern.
Hand aufs Herz: Hat es eine Viren-Meldung einmal bis in bestimmte News-Datenbanken geschafft, ist sie genauso schwierig zu stoppen wie ein Computervirus. Andere Agenturen und Medien nehmen "coole Virenberichte" ebenso schnell und gerne auf, wie ein Kaktus den monatelang ersehnten Regen. Pikantes Detail: Glaubwürdige Berichte von Virenlabors im deutschsprachigen Raum lassen verlauten, dass der Pokey-Virus Mitteleuropa bisher komplett "verschont" hat. Der Grund? Der VBS-Pokemon-Wurm wurde so schlecht programmiert, dass er sich gar nicht erfolgreich verbreiten kann. Seien wir aber trotzdem froh, dass zwar nicht der Medien-Hype, aber wenigstens der Viren-Kelch diesmal noch einmal an uns vorüber ging.
Über tatsächliche aktuelle Virenbedrohungen und neue Techniken der Virenschreiber informiert Sie der PCtip-Virenticker unserer Helpdesk-Seite [1].
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