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08.11.2018, 10:51 Uhr
Game-Test/-Review: Red Dead Redemption 2
Ein echtes Meisterwerk oder doch nur übertriebener Hype: «Red Dead Redemption 2» gehört zu den wichtigsten Spielen des Jahres 2018. Aber setzt es wirklich neue Open-World-Standards?
Open-World-Spiele bleiben auch im Jahr 2018 das Mass aller Dinge. Zuletzt raubte uns «Assassin's Creed Odyssey» mit seiner weitläufigen Spielwelt unzählige Stunden und im Dezember folgt schliesslich noch «Just Cause 4» als chaotische Alternative. Zwischen all diesen Hochkarätern sticht aber ein Spiel ganz besonders heraus: «Red Dead Redemption 2». Acht Jahre nach dem Erscheinen des ersten Teils, legt Rockstar Games endlich mit dem Nachfolger nach und sorgt damit für ein wahres Erdbeben. Da sprudeln nicht nur die Verkaufsrekorde, sondern das Internet wird beherrscht durch «Red Dead Redemption 2»-Schlagzeilen und -Lobhudeleien.
Held mit Sinn und Verstand
Allerdings ist «Red Dead Redemption 2» kein Spiel wie jedes andere. Der Start erfolgt vergleichsweise langsam: Im Jahr 1899 steht die Welt vor dem Umbruch. Vorbei die Zeiten der Revolverhelden, die Industrialisierung hält Einzug. Und so beginnt auch für die Gang von Dutch Van Der Linde der Kampf ums Überleben. Nach einem misslungenen Coup schlägt sich die Gang notdürftig durch und ist auf der Suche nach einer neuen Heimat.
Im Gegensatz zu früheren Titeln von Rockstar Games setzt «Red Dead Redemption 2», in der Hauptstory, lediglich auf einen Hauptcharakter: Arthur Morgan präsentiert sich als Raubein mit harter Schale und – für einen Ganoven – erstaunlich viel Moral. Er besitzt ein hohes Verantwortungsbewusstsein für seine Familie – also die Van-Der-Linde-Gang.
Das neue kontextsensitive Dialogsystem unterstreicht die Vielschichtigkeit des Charakters. Durch Halten der Schultertasten wählen Sie zwischen verschiedenen Optionen. Zu Beginn etwa beobachten Sie, wie eine der Damen der Gang von einem Typen bedroht wird. Sie können ihn nun einschüchtern oder ihn gleich zusammenschlagen. Später entscheiden Sie gerne auch mal zwischen Leben und Tod. Obwohl die Kampagne einer linearen Erzählstruktur folgt, bekommt man so den Eindruck, das Abenteuer direkt zu beeinflussen. Der Faktor Ehre spielt dabei eine besondere Rolle und so sorgen Ihre Taten immer wieder dafür, dass Arthur Morgan mal mit Furcht und mal mit Respekt angesehen wird.
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Eine Spielwelt zum Verlieben und Fazit
Eine Spielwelt zum Verlieben
Die Bande und deren Camp stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Das Lager dient immer wieder als Rückzugsort – zum Crafting und als ausbaubare Basis – und die Bewohner als Dreh- und Angelpunkt für die Kampagneneinsätze. Auch wenn das Missionsdesign sicherlich nicht immer herausragend ist, so kreieren die Einsätze doch eine enge Verbundenheit mit den Figuren. Dadurch sind die gelegentlichen Twists und Rückschläge natürlich umso effektvoller. Sehr schön: Es gibt immer Rückbezüge auf den ersten Teil von «Red Dead Redemption». In den ersten Stunden etwa treffen Sie John Marston persönlich und auch der Epilog hat es in sich. Diesen Part möchten wir jedoch nicht spoilern.
Rockstar Games inszeniert sein Szenario mit einer ungeheuren Detailtiefe und gibt sich dabei kleinteilig wie selten zuvor. Diese Langsamkeit besitzt enormem Charme und erzeugt extrem Atmosphäre, kann aber gelegentlich auch etwas nerven. Bei der Jagd etwa müssen Sie das Tier erst aufspüren, dann häuten und das Fell auf dem Pferd verstauen. Zwischendurch sprechen Sie Ihrem Ross gut zu und bringen die Beute so zurück zum Händler Ihres Vertrauens. Das alles kostet Zeit und Aktionen am Gamepad.
Das Pferd ist Ihr treuster Begleiter und das zentrale Transportmittel in «Red Dead Redemption 2». Hektiker ärgern sich natürlich über das Fehlen einer Schnellreise, denn die Wege gestalten sich zeitweise als sehr lang. Zug, Kutsche und die Karte im ausgebauten Lager sind keine wirklichen Alternativen. Auf der anderen Seite aber malt Rockstar Games mit der Spielwelt von «Red Dead Redemption 2» seine Mona Lisa. Noch nie sah ein derartiges Szenario so schön aus und bot zugleich so viele Freiheiten und so viel Authentizität. Jeder Sonnenuntergang ist aufs Neue zauberhaft, jede Jagd ein kleines Erlebnis für sich. Die eingestreuten Zufallsbegegnungen strotzen vor Humor und kruden Charakteren.
Lediglich das Kopfgeldjägersystem bedarf noch ein wenig Feintuning: Die Burschen tauchen oftmals wie aus dem Nichts auf und richten dann pures Chaos an.
Survival mal anders
Darüber hinaus unterstreichen neue Survival-Aspekte das Setting: Arthur Morgan bekommt Hunger und Durst, Faktoren wie Ausdauer, Stärke und Dead Eye stellt das Spiel mithilfe sogenannter Kerne da. Wo andere Open-World-Spiele auf Item- und Talentpunkte-Grinding setzen, geht die Progression in «Red Dead Redemption 2» mit dem Open-World-Gameplay Hand in Hand. Je weiter Sie in die Spielwelt vordringen, desto schneller entwickelt sich Arthur Morgan weiter. Ob Sie also beispielsweise angeln gehen oder Sie sich in den Saloons an einer Partie Black Jack probieren, bleibt vollends Ihre Entscheidung. Diese Vielfältigkeit macht das Spielgefühl aus. Rockstar Games zwingt Sie nicht zum Abarbeiten bestimmter Aufgaben, sondern lässt Sie auf der Spielwiese «Red Dead Redemption 2» agieren, wie Sie möchten.
Abseits der ebenfalls eingestreuten Duelle geht es natürlich in dem Western-Abenteuer handfest zur Sache. Sie wählen dabei zwischen der Ego- und der Third-Person-Perspektive, bei langen Reisen schalten Sie zudem in die stimmungsvolle Kinoperspektive um. Die Steuerung ist eine der wenigen Achillesfersen des Spiels: Ähnlich wie schon «GTA V» spielt sich auch «Red Dead Redemption 2» vergleichsweise langsam und träge. Arthur Morgan ist ein echter Revolverheld und als solcher kein Actionheld, der behände von einer Deckung zur nächsten springt. Insgesamt sind Schiessereien trotz Dead-Eye-Zeitlupenfunktion gut kontrollierbar und motivierend, aber gelegentlich auch etwas zu behäbig. Gerade in Innenräumen fällt die Navigation schwer. Dieser Anspruch passt zum Setting, ist aber etwas unhandlich.
Das Missionsdesign greift alle gängigen Klischees und Möglichkeiten des Western-Genres auf: Von Bank- und Zugüberfällen bis hin zu Schlägereien, Saufgelagen, Kopfgeldjagden und obskuren Entdeckungstouren ist alles dabei, was Sie sich vorstellen können. Neue Standards setzt «Red Dead Redemption 2» in Sachen Missionsdesign sicher nicht, allerdings greifen Gameplay und Aufgaben absolut nahtlos ineinander und fügen sich in das Szenario ein. In Sachen Gesamtkonzeption macht diesem Spiel niemand etwas vor.
Fazit
Mit «Red Dead Redemption 2» sorgt Rockstar Games zum Ende des Jahres für einen gewaltigen Paukenschlag. Das Western-Abenteuer verliert sich zwar gelegentlich in seiner Kleinteiligkeit, setzt aber zugleich bei der Erschaffung eines Open-World-Spiels neue Standards. Die Liebe zum Detail ist atemberaubend und spiegelt sich in der puren Masse an Möglichkeiten zum Zeitvertreib wider. Das untermauert die Atmosphäre und wischt letztlich auch kleinere, spielerische Defizite wie etwa die träge Steuerung und gelegentliche Ungereimtheiten weg. Sie benötigen noch ein Spiel für die wirklich langen, dunklen Winterabende? Dann ist «Red Dead Redemption 2» genau das Richtige für Sie.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Games.ch veröffentlicht.
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