Trend zu Voice Messages 02.08.2022, 08:00 Uhr

Sprachnachrichten: Fluch oder Segen?

«Hätte man das nicht kürzer schreiben können?»: Sprachnachrichten sorgen bei manchen Empfängern für Frust. Andere freuen sich über die persönliche Botschaft. Warum polarisieren Audionachrichten so?
(Quelle: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
Die Bässe dröhnen, die Freundin klingt überglücklich – wer eine Sprachnachricht abspielt, ist sofort mitten im Geschehen. Ohne viele Worte hören zu müssen, ist klar, die Party ist gut.
Manche lieben das. Allein beim grössten Messengerdienst WhatsApp werden nach Unternehmensangaben täglich sieben Milliarden Sprachnachrichten versendet. Nutzer könnten sich damit «schneller, einfacher und auch auf einer persönlicheren Ebene miteinander austauschen», hält der Konzern fest. Trotzdem gibt es nicht nur Fans.
«Man kann im Alltag beobachten, dass sich viele Menschen sehr darüber aufregen, wenn sie Sprachnachrichten bekommen. Bei dem eigenen Kind ist die Toleranzgrenze vielleicht noch höher. Aber alles, was über den engsten emotionalen familiären Bereich hinausgeht, wird irgendwann für die allermeisten sehr, sehr nervig», sagt Digital-Experte Gerald Lembke. Er ist Professor für Medienwirtschaft und Medienmanagement in Mannheim und hat auch Sprachnachrichten und deren Nutzung untersucht.
«Die Nutzer sagen: Sie verschicken zwar gern Sprachnachrichten, aber sie hören sie nicht gern an. Warum? Etwas aufzuzeichnen, so nebenbei, an der Kasse stehend oder im Auto sitzend, ist sehr einfach, aber eine Sprachnachricht anzuhören erfordert eine Aktion», erklärt Lembke. Denn die Kommunikation mit Sprachnachrichten ist asynchron, also zeitversetzt: Einer nimmt sie auf, sendet sie ab, dann werden sie angehört.

Kommunikation als Einbahnstrasse

«Sprachnachrichten sind eine Einbahnstrassenkommunikation», sagt Lembke. Aus theoretischer Sicht sei das sogar eine Vereinfachung: «Man ist unabhängig von der Reaktion des Empfängers und das macht Kommunikation grundsätzlich zuerst mal einfacher, weil sie nur in eine Richtung ist und nicht auf Interaktion ausgelegt ist.»
Wenn jemand vorübergehend nicht erreichbar sei und eine Angelegenheit nicht dringend sei, mache diese Art der Kommunikation «durchaus Sinn», so Lembke. Aber: Gehe es etwa um Absprachen mit vielen Leuten, sei das synchrone Telefongespräch effektiver und produktiver.
«Wenn man zum Beispiel ein Datum kommunizieren möchte, sollte man das nicht in einer mehrminütigen Sprachnachricht einbetten, sondern als Text schicken, weil der Empfänger es dann sofort sehen und später leicht nachschauen kann», sagt auch Dorothea Adler. Sie forscht am Lehrstuhl für Medienpsychologie der Universität Würzburg unter anderem zu Sprachnachrichten.

Man kommt ins Plaudern – und die Nachricht wird immer länger

So mancher schweift beim Aufnehmen etwas ab: «Gesprochene Sprache ist weniger planbar als geschriebene Sprache. Man kann sich zwar vorher überlegen, was man erzählen möchte, aber vermutlich besteht dennoch zwischen dem Geplanten und Gesagten eine Diskrepanz», erklärt Adler.
«Während man bei Text nochmal durchlesen kann, was man geschrieben hat, und Dinge abändern kann, damit es besser zur Nachricht des Empfängers passt, kommt man bei der gesprochenen Sprache wahrscheinlich eher ins Plaudern. Dadurch entsteht wohl auch manche Länge. Manche Menschen mögen es, wenn jemand ins Reden kommt und über seine Gedanken und Gefühle spricht. Während eine Textnachricht auch persönlich sein kann, ist diese wohl dennoch eher etwas konzentrierter und fokussierter.»
Manches werde schon durch den Hintergrund vermittelt. «Ich höre zum Beispiel, wenn eine Freundin noch auf der Party ist und Musik läuft. Dadurch kann ich viel besser daran teilnehmen und durch die Sprache die authentischen Emotionen wahrnehmen und mich dadurch auch der Person näher fühlen», nennt Adler ein Beispiel. «Nicht nur erzählt sie mehr, sondern sie erzählt vielleicht auch ein bisschen schneller und melodischer, wenn sie fröhlich ist. Dadurch kriege ich natürlich nicht nur über das gesprochene Wort mit, wie es der Person geht, sondern auch über die Stimme und Stimmlage.»

«Es geht auch um Feingefühl»

Lachen, schneller reden, flüstern, eine Denkpause einlegen – all das könne eine Botschaft vermitteln. Aber: Wichtig ist, dass beide Seiten mit den Sprach- statt Textnachrichten einverstanden sind. «Es geht auch um Feingefühl: Wenn ich jemandem eine Sprachnachricht schicke und mein Gegenüber mir konstant mit Text antwortet, dann würde ich wahrscheinlich irgendwann vermuten, «der will das nicht» und nachfragen oder keine Sprachrichten mehr verschicken», so Adler. Umgekehrt könne man als Empfänger auch ansprechen, dass man lieber telefoniere oder Geschriebenes bekomme.
Auch Lembke rät dazu, eine klare Entscheidung zu treffen – «Ja, das will ich, oder nein, das will ich nicht. Wenn ich sage, ich will keine Sprachnachrichten, dann kann ich das mit denjenigen am Telefon erörtern, die mir welche schicken. Aber mit dieser Entscheidung tun sich viele schwer.»
(Von Ann-Kristin Wenzel, dpa)



Kommentare
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wala1
02.08.2022
Ein problematischer Aspekt der Sprachnachricht ist das Abhören in einer nicht geschützten Umgebung. Wenn ich nicht erahnen kann, was gesagt wird, muss ich mich um Kopfhörer bemühen, was vermehrt Aufwand bedeutet. Eine Textnachricht kann ich problemlos zu Hause, diskret im Zug, in Gesellschaft lesen und darauf reagieren. Sprachnachrichten werden oft aus Bequemlichkeit verschickt oder weil befürchtet wird, dass zu viele Fehler geschrieben werden.

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eislexus
02.08.2022
Heutzutage ist man(n) oder frau doch überall dem Natelwahn ausgeliefert!! Der eine telefoniert in Überlautstärke, sie kichert mit ihren Mädels und dort sind welche die nur noch IHRE Musik im Sinn haben!! Wieder jemand klagt ihrem Gegenüber in Biltelefonie was der Artzbesuch für Ergebnisse herausgefunden hat, und dass dieser jemand so tut als müsse die Welt gerade jetzt enden!! Diese Lärmbelästigung ist das Ergebnis von zu wenig Feingefühl!! Wenn Hr. Lembke in seinem Artikel dazu rät, klar zu sagen, das will ich nicht, dann ist der oder diejenige natürlich TOTAL Uncool und dann beginnt der Gruppendruck zu spielen. Das kommt leider nicht selten vor, dass NUR Sprachnachrichten versendet werden. Macht da jemand nicht mit, wird er/sie ausgeschlossen!! Was auch noch dazu kommt, ist der ständige Erreichbarkeit WAHN schon bei Jugendlichen!! Wenn nicht innerhalb von 10 sec Antwort gegeben wird, hat derjenige schon Stress und zwar Hochgradig!! Darum MUSS das Natel ja die ganze Zeit auch in der Hand herumgetragen werden, sonst verpasst man ja was und ist nicht dabei!! Avatar WALA1 hat noch etwas sehr Wichtiges angebracht: "dass zu viele Fehler geschrieben werden." Leider zeigt sich das im Deutschunterricht! Dazu gibt es genügen Studien, wie das SMS und WhatsUp schreiben die Deutsch Kultur geändert hat! Abkürzungen aus dem Natelieren haben dort schon Einzug gehalten!!

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gaessu
13.08.2022
@wala1: Aus meiner Sicht gibt es noch ein weiteres Argument für Text- und gegen Sprachnachrichten: Textnachrichten können später mal einfach und vor allem schnell durchgesehen/überflogen werden, so nach dem Motto: "Worüber haben wir vor einem halben Jahr geschrieben?" Bei Sprachnachrichten muss ich mir alles noch einmal anhören, was ich persönlich eher umständlich finde. Und für mich persönlich gibt es noch einen weiteren Grund für Text- und gegen Sprachnachrichten: Mir fällt es leichter, eine Bildschirmseite Text durchzulesen, als mir ein paar Minuten "Gelaber" (excusez!) anzuhören. Natürlich gibt es auch Ausnahme-Situationen, wo eine Sprachnachricht Sinn machen kann. Ausser einer geführten Meditation fällt mir aber gerade nichts ein. @eislexus: Das mit dem Natel-Wahn stimmt. Ich könnte auch ein paar "Müsterli" (Anekdoten) davon erzählen. Aber es steht - so viel ich weiss - nirgendwo geschrieben, dass man diesen Natel-Wahn mitmachen muss. Zum Beispiel nehme ich während der Arbeit (ich arbeite in einem Büro mit Kundenkontakt), dem Autofahren oder dem Reisen im ÖV prinzipiell keine eingehenden Anrufe an. Für solche Situationen habe ich eine Combox. Ich sage mir immer: "Es ist nichts so wichtig, dass es nicht bis am Feierabend warten kann." Dies gilt auch für E-Mails und SMS. OK, es kann Ausnahmen geben, aber die sind selten. Und seit ich die Nutzung von WhatsApp* vor etwas mehr als einem Jahr eingestellt habe, erhalte ich sehr viel weniger "wichtige" Nachrichten wie z.B. Videos mit animierten GIFs und Begleitmusik. Das mit dem Gruppendruck stimmt natürlich auch. Das habe ich z.B. bei der Einstellung von WhatsApp gemerkt, worauf ich diverse Reaktionen erhalten habe. Überwiegend negative. Aber ich sage mir seither immer wieder: "Die Leute, welchen ich etwas bedeute, finden eine Lösung, um weiterhin mit mir kommunizieren zu können. Und für die anderen ist es nicht schade." /offtopic on Wenn ich so zurückdenke, was die Leute alles in den WhatsApp Status gepostet haben: Teilweise sehr private Sachen, die ich persönlich nur wenigen Personen und vor allem nur mündlich weitersagen würde, wenn überhaupt. Ich habe mich kürzlich beim Gedanken erwischt, dass mir diese Leute wohl den Kopf abreissen würden, wenn ich sie um genau die Infos/Bilder/Videos bitten würde, welche sie tagtäglich in den WhatsApp Status posten. (Dies gilt analog auch für Facebook, Instagram und andere soziale Medien.) /offtopic off * Grund: WhatsApp gehört seit 2014 zu Facebook (bzw. nunmehr Meta) und ist darum aus meiner Sicht nicht mehr vertrauenswürdig. [edit: Wort eingefügt]

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re460
13.08.2022
Ich hasse Sprachnachrichten und noch mehr Videonachrichten in Online-Zeitungen. In Zeitungen will ich Text lesen und nicht Videos schauen. Zum Glück habe ich noch nie Facebook, WhatsApp und Co genutzt, dazu fehlt mir schlicht meine Zeit. Es interessiert ja kein Mensch, was ich gerade mache usw., auch interessiert mich dasselbe dieser Menschen nicht. Gelegentlich ein Mail schreiben (mit allem Drum und Dran wie Anrede usw.) finde ich wesentlich nachhaltiger und warum auch nicht wieder einmal einen echten Brief schreiben? Das macht das Leben viel interessanter! Wenn man mich im Tram oder Zug mit dem Smartphone erwischt, findet gerade eine Ticketkontrolle statt, oder ich lese den Tagi oder ein E-Buch. Sonst betrachte ich lieber die vorbeiziehende Landschaft zur Auffrischung meiner Geografiekenntnisse aus der Schulzeit vor rund 60 Jahren.