News 31.10.2002, 13:45 Uhr

Big Brother Awards 2002: Sieger, Verlierer, Hintergründe

Am Dienstag Abend war es soweit. Zum drittenmal wurde der Schweizer «Überwachungs»-Preis verliehen – dieses Jahr in den illustren Räumen des Casinotheaters Winterthur. PCtip war für Sie dabei.
Der "Preis, den niemand will" [1] macht auf Personen und Institutionen aufmerksam, die sich durch besondere Missachtung von Datenschutz sowie übertriebene Überwachung hervortun. In den letzen Jahren haben unter anderem die Swisscom, Hoffmann-LaRoche und das Militärdepartement VBS die Negativauszeichnung eingeheimst.
Organisiert wird der Anlass jeweils von den drei Organisationen "Archiv Schnüffelstaat Schweiz" (ASS) [2], "Swiss Internet User Group" (SIUG) [3] und "Konzeptgruppe Rote Fabrik" [4]. Heuer standen der elfköpfigen Jury rund 49 Nominationen zur Auswahl [5], und zwar für die Kategorien "Staat", "Business", "Kommunikation" und "Lebenswerk". Fünf Personen konnten zudem auf den "Winkelried"-Award hoffen. Der einzige positive Preis steht Kandidaten zu, die sich durch besonderen Wiederstand gegen zunehmende Überwachung und Datenmissbrauch verdient gemacht haben.
Die diesjährige Eröffnungsrede hielt der Zürcher Datenschutzbeauftragte Thomas Bärlocher. Er warnte vor der Gefahr der immer stärker werdenden Vernetzung von Personendaten. Diese erleichtere es zunehmend, Profile von Bürgerinnen und Bürgern zu erstellen, weshalb der Schutz der Privatsphäre immer wichtiger werden. Zwischen den Preisübergaben sorgte das "Chaos-Theater Oropax" für zynische und humorvolle Einlagen. Ausserdem beehrte Viktor Giaccobo, Mitglied des Projektteams Casinotheater Winterthur, die Zuschauer mit einem Überraschungsauftritt.
Der Big Brother Award 2003 in der Kategorie "Staat" ging an die Kantonspolizei Zürich. Wir erinnern uns noch alle an die berüchtigte Fahndungsdatenbank "Joufara II". In ihr sind umfangreiche Personendaten gespeichert, auf die alle Kantons- und Stadtpolizisten freien Zugriff haben. Als wäre dies nicht ausreichender Grund für eine Negativprämierung, fühlt sich die Polizei laut Big Brother Awards nicht bemüssigt, veraltete oder falsche Angaben nachzutragen. Gegenüber PCtip bezeichnete die Kantonspolizei die Vorwürfe als falsch. So könnten zwar alle Kantons- und Stadtpolizisten auf die Datenbank zugreifen, seien aber der Schweigepflicht unterworfen. Zudem würden Änderungen nachgeführt. Diese müssten aber der Polizei gemeldet werden.
Siegerin (oder besser Verliererin) der Kategorie "Business" war die St. Galler Firma Q-SYS. Sie machte durch eine Software zum "kostenbewussten Qualitätsmanagement von Menschen in Pflegeheimen" von sich sprechen. Auf Grund von 250 teils äusserst peinlichen Fragen werden Pflegebedürftige von der Software in verschiedene Stufen eingeteilt. Zusätzlich informiert das Programm Krankenkassen über Besonderheiten in den Antworten - alles natürlich für weniger Kosten und mehr Qualität in der Krankenpflege. Eine ausführliche Stellungsnahme zum Thema Datenschutz und Missachtung der Privatsphäre hat die Firma Q-SYS übrigens auf ihrer Homepage veröffentlicht [6].
Adrien De Werra, Chef im "Dienst für Besondere Aufgaben" beim UVEK (Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation), konnte sich über eine Prämierung in der Kategorie "Telekommunikation" freuen. Er forderte eine Ausweitung des umstrittenen "Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs" (kurz: BÜPF), das bereits heute Provider dazu verpflichtet, Verbindungsdaten ihrer Kunden zu überwachen und während sechs Monaten aufzubewahren. Wie Adrien De Werra dem PCtip mitteilte, trägt er die Auszeichnung mit Humor. Für ihn sei die Sache betreffend Ausweitung des BÜPF bereits erledigt. Er habe schliesslich keine Befugnis, das Gesetz von sich aus zu ändern, sondern könne nur seine Meinung anbringen.
Der "Club de Berne" sahnte den "Lebenswerk"-Award ab. Der mysteriöse Club versammelt Geheimdienste und Datenschützer aus 19 Staaten. Er soll 1971 gegründet worden sein. Laut Big Brother Awards Schweiz ist selbst dem Bundeshaus nicht bekannt, was der "Club de Berne" überhaupt tut, wer dessen Geschäfte führt und auf welcher rechtlichen Grundlage er operiert.
Die Positivauszeichnung "Winkelried" wurde Bert Setzer (Pseudonym) verliehen. Er entwickelte die so genannte "4Q Card" [7], eine Rabattkarte, die Einkaufspunkte von Coop und Migros einem gemeinsamen Konto zuschreibt und so die Anonymität der Einkäufer wahren soll.



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