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23.09.2016, 12:51 Uhr
Kommentar: Warum ich am Sonntag «NEIN» zum NDG sage.
Das Nachrichtendienstgesetz muss abgelehnt werden. Ansonsten erhalten wir einen Geheimdienst, der viel zu viel machen darf und keine Kontrollen fürchten muss.
Wenn wir am Sonntag über das neue Geheimdienstgesetz abstimmen dürfen, geht es nicht um Leben und Tod, wie uns die Befürworter weismachen wollen. Ja, es gibt Terror, Attentäter, Al-Kaida, ISIS und andere Arschlöcher. Nein, ein neues Gesetz hilft gegen keins davon. Ansonsten müsste der Nachrichtendienst belegen, dass er in der Vergangenheit aufgrund fehlender Mittel etwas nicht bekämpfen konnte. Das Ausbleiben eines solchen Dokuments lässt nur einen Schluss zu: Diese Informationen hat der Geheimdienst nicht.
Das spielt aber keine Rolle, gewinnen wird der Nachrichtendienst dennoch. Das hat die Abstimmung im Parlament gezeigt, wo etwa die FDP, sonst sehr kritisch gegenüber staatlichen Interventionen, geschlossen für das Gesetz war. Obwohl der Staat damit mehr Interventionsmöglichkeiten erhält als mit jedem anderen Gesetz, das in den letzten Jahren verabschiedet wurde. Zu gross ist die Angst unserer Politiker, dass die Schweiz Ziel von Angriffen wird, deren Entstehung und Wirkung sie nicht verstehen. Begriffe wie DDoS-Attacke oder Trojaner sagen ihnen zwar nur bedingt etwas, flössen ihnen aber genau deshalb gehörig Respekt ein. Es ist diese Angst, aus einem Mix von Ahnungslosigkeit und mangelndem Verantwortungsbewusstsein entstanden, welche die Befürworter bereits die Siegesfeiern planen lässt. Nie wurden ihnen die kritischen Fragen gestellt und wenn doch, dann von Leuten, die ein zu kleines Renommee haben, um gefährlich zu werden. Zudem haben sich die Befürworter ungeschickt angestellt und praktisch nur den Eingriff in die Privatsphäre moniert, obwohl es weit mehr Kritikpunkte gegeben hätte.
Erfolgreicher? Dann her mit den Beweisen
Schauen wir uns die Fakten an: Verteidigungsminister Guy Parmelin sagt, mit dem Gesetz kann der Nachrichtendienst die Schweiz besser vor Terrorattacken schützen und wird stärker kontrolliert.
Zur Terrorabwehr: Seit 1995 gab es keinen tödlich endenden Vorfall dieser Art mehr, im Schnitt wird die Schweiz null- bis- dreimal pro Jahr Ziel einer Terrorattacke, Tendenz klar rückläufig. Die Statistik spricht also dagegen, dass die Schweiz eine Hochburg des Terrors ist. Trotzdem soll sie eines der weitreichendsten Abwehrmittel dagegen erhalten, von dem Geheimdienste in Spanien, Frankreich oder Deutschland nur träumen können. Die Kabelaufklärung beispielsweise ist in ihrer Ausgestaltung wenig anders als das US-Überwachungsprogramm PRISM, das auf der ganzen Welt verurteilt wird (na, ja, beinahe). Unser Geheimdienst hätte dank Kabelaufklärung die Möglichkeit, alle Datenströme anzuzapfen, die von der Schweiz ins Ausland fliessen. Das bedeutet beispielsweise, dass man ins Visier geraten kann, wenn man auf einer Schweizer Webseite surft, die im Ausland gehostet wird. Von den 50 meistbesuchten Schweizer Webseiten ist das bei 37! der Fall (hier kann man nachschauen, ob die eigene Lieblingswebseite auch dazugehört).
Dem stellen Befürworter gegenüber, dass inländischer Datenverkehr nicht ausgewertet werden kann. Eine Lüge. Praktisch der gesamte Internetverkehr läuft in irgendeiner Form oder an irgendeiner Stelle übers Ausland, ein Schweizer Internet existiert nicht. Hingegen werden Telekommunikationsdaten jeder Person in der Schweiz während sechs Monaten präventiv gespeichert. Solche Daten reichen etwa US-Drohnen, um Menschen gezielt anzupeilen und abzuschiessen, wie ein kürzlich veröffentlichtes Gutachten bestätigt. Auf den Punkt gebracht: Der Nachrichtendienst hätte mit dem neuen Gesetz definitiv mehr Möglichkeiten zur Überwachung. Das steht aber in keinem Verhältnis zu den Situationen, in denen diese Mittel nützlich sein würden. Deshalb gilt es, das Gesetz abzulehnen.
Unabhängige Kontrolle? Na, ja
Zur Kontrolle: In zehn Fällen pro Jahr will der Nachrichtendienst die neuen Mittel anwenden, sagt der Bundesrat. Diese Aussage hat nullkommanullnullnix wert. Wer will sie bitte überprüfen? Die neue, verbesserte Aufsicht, sagt der Bundesrat. Auch hier zuerst die Fakten: Ob der Nachrichtendienst von seinen Mitteln Gebrauch machen kann, entscheidet in erster Linie das Bundesverwaltungsgericht in Form eines Einzelrichters. Das muss man sich einmal vorstellen: Da geht Geheimdienstchef Markus Seiler zu diesem Richter und erzählt ihm oder ihr, dass er (Seiler) unbedingt diese und jene Person überwachen müsse, da die Sicherheit der Schweiz auf dem Spiel steht. Welcher Richter hat da die Chuzpe, «Nein» zu sagen? Eine solche Verantwortung will sich doch niemand aufbürden, zumal die Entscheidung hinter verschlossenen Türen stattfindet. Danach muss zwar die Departementsvorsteherin noch ihren Segen geben, doch das ist reine Formalität.
Alle Tätigkeiten werden im neuen Gesetz durch das VBS, den Bundesrat und die Geschäftsprüfungskommission des Parlaments kontrolliert. Damit wollen die Macher weitere Peinlichkeiten wie den Fichenskandal oder den jungen Informatiker, der mit der Festplatte unter dem Arm aus dem Hauptquartier lief, verhindern. Zusätzlich soll es eine unabhängige Instanz geben, die unter anderem die Kabelaufklärung überwachen soll. Die Realität sieht so aus: Die VBS-interne Aufsicht besteht aus einer Handvoll Personen. Wie sollen die den Geheimdienst kontrollieren, der mehrere Hundert Mitarbeiter hat? Zudem ist VBS-Chef Parmelin nicht nur Vorgesetzter der Aufsicht, sondern auch des Geheimdienstchefs Markus Seiler. Unabhängigkeit ist nicht wirklich gewährleistet. Auch nicht, weil die Leiterin der unabhängigen Aufsicht durch den Bundesrat und nicht wie etwa der EDÖB durch das Parlament gewählt wird. Vorschlagen muss den Leiter der Aufsichtsbehörde übrigens der Vorsteher des VBS.
Das BÜPF reicht
Bleibt die parlamentarische Aufsichtsbehörde, in dem Fall die Geschäftsprüfungsdelegation. Ihre Mittel sind begrenzt, ihr Terminplan ohnehin schon sehr voll. Eine vollamtliche, unabhängige Aufsicht kann die GPDel niemals ersetzen. Kommt dazu, dass der Nachrichtendienst nicht dem Öffentlichkeitsprinzip untersteht. Medien haben also keine Chance, Fehler oder Erfolge aufzudecken.
Ganz anders ist es, wenn die Strafverfolgungsbehörden Fehler machen. Diesen wurden mit dem BÜPF dieses Jahr ebenfalls weitreichendere Methoden zur Verbrechensbekämpfung – etwa Staatstrojaner – in die Hände gelegt. Es müsste deshalb ihre Aufgabe sein, gegen Terrorattacken vorzugehen. Das ist durchaus realistisch, die Bundesanwaltschaft kann im Gegensatz zum Geheimdienst vorzeigbare Beweise bei ihrem Kampf gegen Terror vorlegen. Und wenn sie Mist baut, kann sie haftbar gemacht werden.
Wenn wir am Sonntag über das neue Geheimdienstgesetz abstimmen dürfen, müssen wir uns deshalb fragen: Wollen wir noch ein Gesetz gegen Verbrechensbekämpfung, das einige rechtsstaatliche Mängel aufweist (beispielsweise gibt es kein Beschwerderecht gegen die Nichtauskunft oder Nichtmitteilung) und das einer geheim operierenden Behörde Mittel in die Hand gibt, zu tun, was sie will. Ohne je erklären zu müssen, warum sie etwas getan hat oder ob es erfolgreich war? Ich bin dagegen und stimme «NEIN».
Autor(in)
Fabian
Vogt
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