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04.01.2017, 09:14 Uhr
Interview: Blackout und andere Katastrophen
Was würde passieren, wenn schweizweit der Strom ausfällt? Zwei Experten der ETH Zürich beantworten Fragen zum Thema.
Timothy Prior und Florian Roth vom Team «Risiko und Resilienz» beim Center for Security Studies (CSS) treten als Experten beim SRF-Thementag Blackout auf. Die beiden forschen auf dem Gebiet des Katastrophenmanagements, der Resilienz und der Risiko- und Krisenkommunikation. ETH-News wollte wissen, wie es um die Schweizer Verhältnisse steht.
Wie würde die Schweizer Bevölkerung im Falle eines Blackouts informiert?
Roth: Die Bevölkerung würde vor allem ganz klassisch per Radio informiert. Unter Umständen kämen auch Polizeiautos, die durch die Strassen fahren, oder die Sirenen mit dem «Allgemeinen Alarm» zum Einsatz. Beispielsweise, wenn es im Zuge eines Blackouts zu einer Verschmutzung des Trinkwassers kommt. In einer solchen Situation ist es wichtig, die Bevölkerung schnell zu warnen.
Am Thementag spielte das SRF einen europaweiten Blackout durch. Wie gut wäre die Schweiz auf einen solchen Fall vorbereitet?
Prior: Die Schweiz ist auf der strukturellen Ebene sehr gut auf Katastrophen vorbereitet. Die Behörden sind gut ausgerüstet und die Verantwortlichen top ausgebildet. Die Hauptarbeit wird dabei auf der Ebene der Kantone und Gemeinden geleistet. Der Bund ist vor allem unterstützend und koordinierend tätig. Die Schweiz hat einen Bevölkerungsschutz, der sehr gut zum Land passt.
Roth: Da liegt auch der Knackpunkt: In der Schweiz ist der Katastrophenfall meist lokal oder regional gedacht. Was bei extremen Ereignissen mit nationaler oder gar internationaler Bedeutung passieren würde, dafür fehlt schlicht die Erfahrung.
Und was bedeutet das?
Prior: Wir sehen, dass vor allem Länder, die grössere Katastrophen hatten, aus den Erfahrungen gelernt und die Massnahmen angepasst haben.
Roth: In Japan wurde beispielsweise nach dem grossen Erdbeben von Kobe 1995 der Bevölkerungsschutz ins Bildungssystem aufgenommen und trainiert. Die Vorschriften für erdbebensicheres Bauen wurden enorm verschärft. Ohne diese Massnahmen wären beim Erdbeben von 2011 sicher noch viel mehr Opfer zu beklagen gewesen.
Dauert eine Krise an, stellt man sich Chaos und Plünderungen vor. Wie realistisch ist ein solches Szenario?
Prior: Die Bilder von Menschen, die im Krisenfall ohne jegliche Rücksicht agieren, haben wir vor allem wegen Hollywood und der Berichterstattung über Einzelfälle im Kopf. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen ein anderes Bild: In Ländern mit grosser Stabilität verhalten sich die allermeisten Menschen rational und solidarisch.
Das passt zur Beobachtung, dass sich Menschen im Krisenfall vermehrt privat engagieren und organisieren.
Das passt zur Beobachtung, dass sich Menschen im Krisenfall vermehrt privat engagieren und organisieren.
Roth: Die Bedeutung von zivilgesellschaftlichen Initiativen hat eindeutig zugenommen. Allerdings sehen wir Unterschiede: In der Schweiz gibt es starke Akteure wie das Rote Kreuz oder andere Hilfsorganisationen. In anderen Ländern engagieren sich die Leute mehr spontan und ungebunden.
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Die Rolle von sozialen Medien
Welche Rolle spielen dabei soziale Medien?
Roth: Die Forschung zeigt, dass Menschen im Krisenfall die gleichen Kommunikationskanäle nutzen wie sonst. Die grossen Konzerne haben das erkannt und entsprechende Teams gebildet. Zum Beispiel stellen sie Krisenkarten zur Verfügung, auf denen Menschen eintragen können, wo welche Hilfe zu bekommen ist. Der «I am okay»-Status trägt wesentlich dazu bei, dass Verwandte und Bekannte besser informiert sind, ob jemand in Sicherheit ist und die Kommunikationsnetze dadurch weniger belastet werden. Zudem sehen wir vermehrt selbstorganisierte Hilfe auf diesen Plattformen. Ein Beispiel war die Opendoor-Aktion nach der Schiesserei in München, bei der Bewohner den Betroffenen spontan einen sicheren Schlafplatz angeboten haben.
Wie sehen Sie die Zukunft?
Prior: Für mich gibt es zwei wichtige Punkte: Es gibt keine Katastrophe ohne Menschen – ein Erdbeben an einem Ort, an dem keine Menschen leben und es keine Infrastruktur gibt, ist nur ein Naturereignis, keine Katastrophe. Deshalb ist für uns die Frage der sozialen Verwundbarkeit, das heisst, wer am stärksten betroffen ist, so wichtig. In Zürich gibt es beispielsweise eine detaillierte Risikokarte, welche die Konsequenzen von Überschwemmungen zeigt. Aber es fehlen Daten, wo welche Menschen besonders verwundbar sind – wie ältere Menschen oder Migranten – hier gibt es noch Forschungsbedarf.
Zweitens bedeutet der Einfluss der Zivilgesellschaft und der sozialen Medien, dass die Behörden nicht mehr nur top-down kommunizieren können und damit auch ein Stück Deutungshoheit verlieren. In Zukunft werden die Behörden mehr in Dialog mit der Bevölkerung treten müssen. Das ist eine Herausforderung, weil Behörden beispielsweise erst informieren möchten, wenn eine Information als gesichert gilt. Die Bürger erwarten aber schnelle Informationen. Aber es ist auch eine grosse Chance für einen effizienteren Bevölkerungsschutz. In Zukunft können Behörden ihre Kommunikation noch stärker situativ anpassen.
Was kann jeder Einzelne tun, um sich besser vorzubereiten?
Prior: Wichtig ist, dass man die Gefahren kennt und weiss, was im Katastrophenfall zu tun ist. Ein Beispiel: In Bern gibt es stark hochwassergefährdete Gebiete. Aber weiss ich auch, was ich machen muss, wenn das Hochwasser wirklich kommt? Obwohl der Notvorrat vielen etwas antiquiert erscheinen mag, ist er trotzdem eine gute Idee. Denn im Krisenfall wird sich die Schweiz gut organisieren, aber es kann sein, dass die Menschen die ersten zwei, drei Tage alleine über die Runden kommen müssen. Ganz allgemein zeigt sich, dass Haushalte, die sich einen Familiennotfallplan zurechtgelegt haben, Katastrophen besser überstehen als andere.
07.01.2017