Tests
28.02.2017, 09:39 Uhr
Tango-Tänzer: Lenovo Phab 2 Pro im Test
Das erste Smartphone für Googles Tango-Plattform ist riesig! Mit drei Kameras an der Rückseite kann es die Umgebung ertasten. Alles nur virtueller Katzenzirkus?
Vor einem Jahr kündigte Lenovo erstmals an der Consumer Electronics Show in Las Vegas eine gemeinsame Partnerschaft mit Googles Technologieplattform «Tango» an. Man kennt solche Konzepte schon ansatzweise von Intel mit der RealSense-Kamera. So hat auch der Chip-Gigant schon vor zweieinhalb Jahren mit Dell ein Tablet herausgebracht, dessen Kamera im Zusammenspiel mit einer Handvoll Sensoren Oberflächen aus der Umgebung ertasten kann. Daraus ergibt sich ein ganzes Spektrum neuer Möglichkeiten. Man denke etwa an die Vermessung von Möbelstücken. Oder an räumliche Navigation durch mehrere Stockwerke eines Gebäudes – davon sind wir aber noch ein gutes Jahrzehnt entfernt. Bis zum letzten Schliff des ersten Tango-Phablets hat es bereits eine ganze Weile gedauert. Nun liegt es also vor uns – das Phab 2 Pro von Lenovo. Und: Es ist riesig! Mit einer Display-Grösse von 6,45 Zoll (16,38 Zentimeter) in der Diagonalen fühlt sich ein 5,7 Zoll grosses iPhone 7 Plus auf einmal wieder wie ein Kompaktgerät an.
Im Phab 2 Pro hausen gleich vier Kamerasensoren. Neben der mittelmässigen 8-Mpx-Selfie-Kamera und dem rückseitigen 16-Mpx-Knipser sorgen ein Tiefensensor und eine zweite Kamera mit Fisheye-Objektiv für die erweiterte Realität. Unter «Augmented Reality» versteht man die Möglichkeit, virtuelle Objekte in einer realen Umgebung einzublenden, was nicht nur mit Datenbrillen möglich ist.
Zu gross für viele Hände
Die Verarbeitung des Riesentelefons mit dem Aluminium-Body ist aber an allen Stellen sehr edel und keineswegs billig. Wölbungen am 2,5D-Glas erkennt man praktisch keine. Geschmackssache ist die etwas kantige Erscheinung, die ein wenig an ein Mate 9 erinnert. Der rückseitige Fingerabdrucksensor ist mit dem Zeigefinger etwas schwer zu errreichen, aber was ist hier schon nicht schwer zu erreichen? Für Verrenkungen sorgt dessen ungeschickte Platzierung in der unteren Gehäusemitte.
Beim Bildschirm mit seinen 2560 x 1440 Pixeln leistet Lenovo ganze Arbeit. Mit 458 Punkten pro Zoll ist die Schärfe auch bei 6,4 Zoll noch erhaben. Auch die Helligkeits- und Kontrastwerte zeigen keine Nachteile. Bei der Blickwinkelstabilität sind wir uns nicht ganz sicher, ob es am flach eingearbeiteten Glas liegt, das kleinere Unschärfen hervorruft. Allerdings gibt es hier wenig auszusetzen.
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Verrenkungen bei der Bedienung
Verrenkungen bei der Bedienung
Der Bildschirm ist aber nicht nur gross, sondern auch zu gross für viele Nutzer. So wie es uns Lenovo letztes Jahr an einem Event in Zürich versichern wollte, soll die Bildschirmgrösse vor allem für Geschäftsleute praktisch sein, die viel unterwegs sind. In dieses Raster scheine ich als Journalist nicht zu fallen. Praktisch wäre es gewesen, wenn sich die Oberfläche des Telefons bei einhändiger Bedienung automatisch anpasst. Wir dachten zuerst, Lenovo wolle das mit Gestenerkennung und zwei schwarzen Einzoombalken softwareseitig hinbekommen. Das ist aber nun nicht der Fall. Ohne Knorpelzuwachs ist die Bedienung mit einer Hand jedenfalls auf die Dauer kaum möglich. Die grosszügig angeordneten Lautsprechergitter lassen dafür den starken Stereo-Sound durch die Hände strömen, ohne dass man ständig die Hände von der Geräteunterseite wegnehmen muss.
Fast nichts fehlt
Bei der Ausstattung muss man dem Tango-Tänzer nichts ankreiden. Bis auf einen neueren Prozessor fehlt es dem Dual-SIM-fähigen Phab 2 Pro an nichts. Auch die neusten Drahtlosstandards lässt es mit WLAN 802.11 ac und Bluetooth 4.0 nicht missen. Das Lenovo-Phablet offieriert gleich 4 GB RAM und 64 GB internen Speicher, der sich per MicroSD-Karte ausbauen lässt. Bei der allgemeinen Leistung siedelt sich der Lenovo-Riese in der besseren Mittelklasse an. Im Geekbench-4-Lauftest messen wir 1476/3451 Punkte in der Single- bzw. Multicore-Leistung. Gegenüber einem betagten Nexus 6P mit älterem Prozessor ist das kein gigantischer Leistungsschub. Dieses zeigt in jenem Benchmark 1336 bzw. 2844 Punkte.
Genug Leistung, aber nur Mittelklasse
Die Akkulaufzeit liegt ungefähr gleichauf mit dem Pixel XL von Google, was aber eher ein schlechtes Indiz ist. Der Akku reicht für knapp anderthalb Tage, vorausgesetzt, man spielt nicht zu viel mit der AR-Kamera rum. Das Kameragespann an der Rückseite drosselt die 100-Prozent-Ladung in einer halben Stunde schnell auf 90 Prozent. Mit Strom nachversorgt wird noch über Micro-USB und nicht über einen USB-C-Anschluss. Dank Qualcomms QuickCharge-Technik ist der Akku des Technikwunders aber nach knapp eineinhalb Stunden wieder gefüllt.
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Tango tanzen will geübt sein
Tango tanzen will geübt sein
Android Nougat findet man übrigens beim Phab 2 Pro noch nicht vor, sondern eine recht nativ gehaltene Android-6.0-Oberfläche. Fehlen darf da natürlich nicht eine Play-Store-Verknüpfung zu den speziell optimierten Tango-Anwendungen, für die sich einige Entwickler schon recht ins Zeug gelegt haben. Mit der vorinstallierten App «Measure» kann man – wie der Name sagt – dank der 3D-Erfassung Abstände im Raum ausmessen. Das ist durchaus nicht nur eine witzige Spielerei, sondern auch ein echtes Feature. Ob man davon im Alltag oft Gebrauch machen wird, ist die andere Frage. Einen Video-Express-Check finden Sie weiter unten im Beitrag.
Virtuelle Haustiere
Neue Anwender haben mit dem AR-Feature anfangs ein wenig Mühe. Der Sucher reagiert recht schnell. Fast zu schnell. Sobald eine Kante eines Objekts erfasst wurde, tippt man auf das Plus-Symbol in der App, um weitere Messlinien einzublenden. In der Tango-App-Zentrale finden sich schon einige Spiele – aber eben: hauptsächlich Mini-Spiele mit Dingen wie virtuellen Domino-Klötzchen oder virtuellen Haustierchen. Ähnliches offenbart sich über die Kamera-App, wenn man den AR-Modus aufruft. Während der Tango-Spielerei hat uns ein wenig gestört, dass das Phablet an der Rückseite manchmal sehr warm werden kann.
Das Phab 2 Pro im PCtipp-Video-Check:
Unter dem Strich ist die AR-Funktion des Lenovo-Geräts ein nettes Zusatz-Gimmick, aber noch keine echte Alltagsanwendung. Dennoch ist es Lenovo und Google zu verdanken, dass man den Mut hatte, einen grösseren Schritt in diese Richtung zu wagen. Und selbst wenn Apple mit dem iPhone X eine ausgefeiltere Kameratechnik bringen könnte, darf man sich freuen, dass die Technologie durch die Konkurrenz weiter vorangetrieben wird. Noch ein Wort zur 16-Mpx-Hauptkamera: Bei gutem Licht ist die Hauptkamera in der Lage, sehr detailgetreue Aufnahmen zu schiessen. Farben und Kontraste sind auf hohem Niveau.
Fazit
Das Lenovo Phab 2 Pro ist in technischer Hinsicht kein schlechtes Gerät für Tablet-Verweigerer, die nach einem interessanten Phablet-Hybriden suchen. Die AR-Technologie steckt trotz der interessanten Technik natürlich noch in den Kinderschuhen. Wer das Phab 2 Pro nur wegen der AR-Kamera kaufen möchte, wird vermutlich nicht gleich von euphorisierenden Glückshormonen überschwemmt. Ob das App-Angebot in den nächsten Monaten an Zuwachs gewinnt, wird sich noch zeigen. Davon abhängig ist auch die Einführung weiterer Tango-Smartphones.
Das Testgerät wurde uns freundlicherweise von Brack zur Verfügung gestellt.
Testergebnis
Display, Verarbeitung, Ausstattung, Apps, AR-Kamera
Akku, Gewicht/Grösse
Details: 6,45"-Amoled-Display, Auflösung: 2560 x 1440, Snapdragon 652 (Achtkern, 1,8/1,4 GHz), 4 GB RAM, ab 64 GB Speicher, 8-Mpx-/16-Mpx-Kamera, Tiefensensor, Fisheye-Kamera, 4050-mAh-Akku, NFC, LTE, WLAN AC, Bluetooth 4.0, Android 6.0, 18 x 8,9 x 1,7 cm, 259 g
Preis: Fr. 599.–
Infos:enovo.com/ch
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Autor(in)
Simon
Gröflin
02.03.2017