Tests 01.06.2015, 12:36 Uhr

Fotos: Googles neuster Streich

Google will die Fotos eines ganzen Lebens speichern. Ein erster Augenschein.
Google und Fotos: Diese Mischung hat bis jetzt nur mässig funktioniert. Das liegt auch daran, dass die soziale Plattform Google+ bis heute nicht richtig in die Gänge kommt. Jetzt wagt der Suchmaschinen-Riese einen neuen Anlauf und bietet für die Bilder einen eigenen Dienst.
Unspektakulär, aber solide: das neue «Google Fotos»
Im Mittelpunkt steht die kostenlose App Google Fotos, die für iOS und Android angeboten wird. Dabei handelt es sich nicht um eine Kamera-App. Stattdessen erlaubt sie die Betrachtung der Sammlung und den Upload neuer Fotos und Videos.
Der direkte Weg in den App Store
Der direkte Weg zu Google Play

Automatischer Upload ohne Schamgefühl

Es gibt verschiedene Möglichkeiten des Uploads. Doch wer seine Seele nicht an Google verkaufen möchte, sollte das Vorgehen genau abwägen.
Smartphone. Sobald die App für iOS oder Android eingerichtet ist, werden sämtliche Fotos und Videos, die auf dem Gerät gespeichert sind, auf die Google-Server übertragen. Selbiges gilt natürlich für alle später hinzukommenden Medien.
Mac oder PC. Der kostenlose Uploader kann unter photos.google.com heruntergeladen werden. Beim ersten Start wird definiert, von welchen Medien die Bilder automatisch hochgeladen werden:
Was darf’s denn sein?
Anschliessend saugt die Anwendung alles auf die Google-Server, was irgendwie nach Foto oder Video riecht:
Beim Upload geht Google nicht gerade zimperlich vor.
Wer längst die Kontrolle über seine Bilder verloren hat, findet in diesem radikalen Upload vielleicht einen Weg aus dem Chaos. Bei vielen anderen Anwendern dürfte er eher gemischte Gefühle verursachen.

Manueller Upload

Um die Kontrolle über die Uploads nicht zu verlieren, stehen zwei Möglichkeiten offen.
Browser. Fotos werden im Browser auf der Startseite photos.google.com manuell hochgeladen. Zu anstrengend.
Google Drive. Besser: Sortieren Sie die Fotos auf Google Drive manuell ein, indem Sie den kostenlosen Client verwenden. Ab Werk werden die Fotos auf Google Drive automatisch in der Sammlung angezeigt, doch die Einstellung lässt sich auf der eigene Fotoseite ändern.

Speicherkontingent

Und wie viele Fotos und Videos lassen sich speichern? Google bietet zwei Möglichkeiten an:
Unlimitierte Speichermenge, allerdings mit Abstrichen
Unlimitiert. Laden Sie so viele Foto und Videos hoch, wie Sie möchten. Allerdings darf die Auflösung maximal 16 Mpx (Fotos) respektive 1080p (Videos) betragen. Alles, was darüber hinausgeht, wird automatisch verkleinert. Fotos werden ausserdem neu komprimiert, um die Dateigrösse zu reduzieren. Das mag bei Smartphone-Fotos nicht so wichtig sein – aber für ambitionierte Fotografen fällt der Dienst als ernsthaftes Backup weg.
Volle Qualität. Nur wenn die volle Auflösung und die Original-Qualität erhalten bleiben sollen, wird das verfügbare Speicherkontingent belastet. Mindestens 15 GB sind bei Google gratis – allerdings teilen sich alle sämtliche Google-Dienste diesen Kuchen (zum Beispiel Gmail). Hier erfahren Sie, wie es um Ihr Speicherkontingent bestellt ist und können es bei Bedarf erhöhen. Eine Erhöhung um 100 GB kostet 1.99 US-Dollar/Monat, 1 Terabyte gibt es für 9.99 US-Dollar/Monat.
Soviel zum Dienst. Sehen wir uns an, was im Tausch gegen unsere intimsten Fotos an Möglichkeiten geboten wird.
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Die Apps und ihre Möglichkeiten

Die Apps

Die Apps für iOS und Android schiessen keine Fotos, sondern zeigen nur die Bilder, die bereits auf den Google-Servern gelandet sind. Dabei werden die Bilder chronologisch sortiert. Mit Spreizgesten lässt sich der Grad der Details verändern. Die Fotos lassen sich vorzeigen, überarbeiten und zu Alben zusammenfassen. Leider werden diese Alben nicht automatisch erstellt, selbst wenn die Fotos bereits auf Google Drive durch Ordner organisiert wurden.
Die Übersicht lässt sich bequem schrumpfen und erweitern.
Eine andere Möglichkeit, um Bilder zu suchen, besteht in der Eingabe eines Suchbegriffs. Jedes Foto wird analysiert. Dabei werden natürlich die Exif-Daten extrahiert, die jedem Foto anhängen (Datum, Verschlusszeit usw.) Selbiges gilt für den Aufnahmeort, falls die Kamera mit einem GPS-Modul ausgerüstet ist. Sogar das Motiv wird einer Analyse unterzogen: Anschliessend lässt sich nach Begriffen wie «Auto», «Essen» o.ä. suchen.
Automatische Erkennung des Motivs

Die Synchronisierung

Die Synchronisierung orientiert sich sehr stark am Vorgehen von Apples iCloud: Sämtliche Fotos werden auf allen angemeldeten Geräten verfügbar gemacht. Wird ein Foto geändert oder gelöscht, dann verschwindet es auch von allen anderen Smartphones und Tablets.
Das Vorgehen ist also äusserst konsequent, und das muss auch so sein: Nur auf diese Weise lassen sich tausende von Fotos bändigen. Abweichende Datenbestände auf verschiedenen Geräten? Da wäre ein Albtraum!
Im Gegensatz zur Apple-Lösung werden die Fotos jedoch nicht lokal im Gerät gespeichert. Wer also ohne Internet die Schnappschüsse aus den letzten Ferien herumzeigen möchte, steht auf verlorenem Posten. Im besten Fall gibt es eine schlecht aufgelöste Voransicht zu sehen.

Überarbeitung

Änderungen am Bild werden ebenfalls zwischen den Geräten synchronisiert, wobei sich die Anpassungen jederzeit widerrufen lassen. Allerdings sind die Werkzeuge für die Verbesserung eher rudimentär ausgefallen. So fehlen die Feinheiten, wie etwa das gezielte Aufhellen der Schatten.
Die rudimentäre Bearbeitungsfunktionen sollen durch Snapseed ergänzt werden
Wer mehr will, kann ein Foto direkt in Snapseed öffnen, das für viele Fotografen zu den Pflichtdownloads gehört. Hier einige Impressionen:

Bildergalerie
Das Vorgehen ist dasselbe geblieben: Mit horizontalen und vertikalen Wischgesten werden Parameter und Wirkungsgrad ausgewählt.

 

Spielereien

Und dann sind da jene Funktionen, die man bei Google scheinbar einfach versaften wollte. So erstellt der Dienst im Hintergrund automatisch Collagen oder wandelt Bilder in Schwarzweiss um – und nur der Himmel weiss, warum.
Interessanter ist der Umstand, dass dabei automatisch die besseren Fotos berücksichtigt werden – also Bilder, die mit ausgewogenen Farben und einer guten Schärfe überzeugen können.
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Andere können es besser und günstiger

Zielgruppen

Ist Googles neuer Dienst also ein Grund, um in Jubel auszubrechen? Die Antwort hängt davon ab, wo man sich selbst als Fotograf einordnet.
Die Zielgruppe findet sich bei den unbeschwerten Handy-Fotografen, die ihr Leben fast ausschliesslich mit dem Smartphone dokumentieren. Die automatische Foto-Analyse erleichtert das Auffinden von Motiven enorm. Der Speicherplatz ist nie ein Thema, und die Synchronisierung funktioniert nahtlos. Vor allem aber sind die wertvollen Erinnerungen stets in Sicherheit, ohne dass ein Gedanke an Backups verschwendet werden muss.
Wenn Sie sich in dieser Beschreibung wiedererkennen und keine Mühe damit haben, dass Google Ihr Leben speichert, melden Sie sich besser heute als morgen an, denn ein zuverlässiges Backup aller Erinnerungen ist unbezahlbar.

Was wir vermissen

Natürlich ist es schwierig, einen Dienst vom Fleck weg mit allen erdenklichen Funktionen auszustatten, aber einige elementare Funktion vermissen wir trotzdem. So gibt es keine Gesichtserkennung und keine Diashows. Alben lassen sich nicht mit anderen Teilen. Schlimmer noch: Wer ein Foto weitergeben möchte, kann nur einen schnöden Link verschicken oder auf Twitter teilen. Aber das Foto selbst? Mitnichten!

Flickr kann es besser – viel besser

Wenn Sie von dieser Idee überzeugt sind, aber grössere Ambitionen mitbringen, dann sind Sie bei Flickr sehr viel besser aufgehoben. Der Yahoo-Dienst demontiert Google auf der ganzen Linie.
Nach der kostenlosen Anmeldung erhalten Sie von Flickr 1 TB an kostenlosem Online-Speicher! Dabei dürfen die Fotos beliebig hoch aufgelöst sein. Die Web-Oberfläche gefällt durch ihre Aufmachung. Fotos werden so gründlich analysiert und mit automatischen Schlagworten versehen, dass es fast schon an Hexerei grenzt.
Die Motiverkennung und die automatischen Schlagwörter sind in Flickr unheimlich gut – und das ist wörtlich zu verstehen.
Hinzu kommt nicht nur die gelungene Flickr-App mit automatischem Upload, sondern auch der Kontakt zu anderen Fotografen: Präsentieren Sie Fotos der Öffentlichkeit, schliessen Sie sich Gruppen an, sammeln Sie Inspiration und teilen Sie Erfahrungen. Wer den Dienst nicht wenigstens ausprobiert, verpasst eine Menge!
Doch warum dieser Lobgesang auf Flickr? Einfach deshalb, weil der Google-Dienst in der nächsten Zeit sehr viele mediale Lorbeeren einstreichen wird, die über weite Strecken unverdient sind. Es wäre nicht das erste Mal.

Fazit

Googles Fotodienst ist eine ideale Backup-Lösung für unbeschwerte Smartphone-Fotografen. Bei Verlust oder Diebstahl des Geräts muss sich niemand wegen der verlorenen Fotos und Videos in den Schlaf weinen. Doch davon abgesehen, gibt es bei Googles jüngstem Dienst noch sehr viel Luft nach oben.

Testergebnis

Komplettes Foto- und Video-Backup, unbeschränkter Speicher
Keine Alben aus Ordnern, keine Social-Media-Funktion, keine Diashows, Teilen nur in Form von Links möglich

Details:  Ab iOS 8.1, ab Android 4.0

Preis:  kostenlos

Infos: 
https://itunes.apple.com/ch/app/google-fotos/id962194608?mt=8

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