Tests 09.04.2014, 08:40 Uhr

Test: Wie gut ist die Wilmaa Box?

Den Schweizer Web-TV-Dienst Wilmaa gibts jetzt auch am Fernseher. Mit einer eigenen Box will man Swisscom und Co. Konkurrenz machen. Ob das gelingt?
Die Wilmaa Box ist da. Mit der kleinen schwarzen Box und einem Abo-Modell für 29 Franken im Monat will der Schweizer Web-TV-Anbieter nun auch in die Wohnzimmer vordringen. Wie gut die Aussichten dafür stehen, klärt unser Test.
Optisch gibt sich die ganz in Schwarz gehaltene Wilmaa Box unauffällig. Die kompakten Abmessungen sind sicher ein Pluspunkt, hier bewegt man sich in ähnlichen Dimensionen wie die neue Box von Swisscom TV 2.0. Die Anschlüsse sind überschaubar: Hinten gibt es einen HDMI-Port für den Anschluss an den Ferseher, Ethernet, SPDIF (Audio) sowie einen 3,5-mm-Klinkenstecker (ebenfalls Audio). Vorne stehen zwei USB-Ports für den Anschluss von externen Speichermedien bereit - dazu später mehr. Positiv: Wilmaa liefert sowohl ein HDMI- als auch ein Ethernet-Kabel mit.

Einfache Einrichtung

Die Wilmaa Box ist ein sogenanntes Over-the-Top-Angebot, wird also mit einem bereits bestehenden Internetanschluss verbunden. Daher funktioniert die Box auch mit jedem beliebigen Internetanbieter, vorausgesetzt, die Internetgeschwindigkeit beträgt mindestens 10 Mbit/s. Um die Wilmaa Box in Betrieb zu nehmen, verbindet man sie einfach wahlweise via Ethernet oder dem integrierten WLAN mit dem Heimnetzwerk. Das geht rasch und unkompliziert, ein Assistent hilft direkt am Bildschirm bei den notwendigen Schritten. Im Test haben wir die Box via WLAN verbunden. Die ganze Einrichtung inklusive dem Herunterladen und Installieren einer Systemaktualisierung dauerte nur rund fünf Minuten.
Die Einrichtung ist ein Kinderspiel - hier wählen wir das WLAN-Netz aus
Verhältnismässig lange dauert es, bis die Box hochgefahren ist. Aus dem Standby haben wir rund 30 Sekunden gemessen. Immerhin soll das Gerät laut Wilmaa im Standby lediglich 0,33 Watt Strom benötigen, im Betrieb nur 3,9 Watt. Das sind zweifelsfrei hervorragende Werte.
Bedient wird die Wilmaa Box mit einer der zwei mitgelieferten Fernbedienungen, eine kleine und eine grössere. Die kleinere beschränkt sich auf wenige grundlegende Tasten - wobei man das auch von der grösseren behaupten muss. Neben den Zahlentasten (0 bis 9) finden lediglich ein Menüknopf, ein Pauseknopf, vier Richtungstasten, eine OK-Taste, die Zurück-Taste sowie die Laustärketasten auf der schmalen Bedienung Platz. Das ist für unseren Geschmack zu wenig, so haben wir beispielsweise eine Mute-Taste vermisst.
Auf der nächsten Seite: Umständliche Bedienung

Umständliche Bedienung

Umständliche Bedienung

Noch unbegreiflicher finden wir aber den Verzicht auf Tasten für den direkten Programmwechsel (Vor und Zurück). Tatsächlich muss man, um den Sender zu wechseln, mit den Richtungstasten zum gewünschten Sender navigieren und dann mit OK bestätigen. Das klassische Zappen verkommt damit zur Tortur. Auf Nachfrage hiess es bei Wilmaa, dass man die Anzahl Tasten auf der Fernbedienung bewusst auf ein Minimum reduzieren wollte und dass das Zappen sowieso ein Auslaufmodell sei. Das mag sein - wirklich nachvollziehen können wir diesen Entscheid dennoch nicht.
Leider wäre der Senderwechsel aber selbst mit diesen Tasten eine Geduldsprobe: Zwischen vier und sechs Sekunden haben wir bei den Programmwechseln gemessen, bei HD-Programmen teils sogar noch mehr. Das ist eindeutig zu viel. Gemäss Wilmaa ist man sich des Problems bewusst und arbeitet bereits an der Optimierung. Wie auch immer: Zum Testzeitpunkt fällt die Wilmaa Box diesbezüglich klar durch. Wir haben die Box testweise auch via Ethernet an den Router angeschlossen, was aber nur eine minimale Verbesserung brachte. Weniger als vier Sekunden haben wir auch dann nie gemessen.
Über dieses Menü läuft so ziemlich alles bei Wilmaa
Dabei soll die Bedienung der Wilmaa Box laut Medienmitteilung besonders einfach und intuitiv sein. Ein Eindruck, den wir jedoch auch sonst nicht wirklich teilen können. Ein weiterer, unserer Meinung nach nicht nachvollziehbarer Entscheid: Es gibt keinen echten TV-Guide. Über das Hauptmenü, das wir über die Menütaste auf der Fernbedienung erreichen, gelangen wir zwar zu einem Menüpunkt namens «TV-Programm». Dahinter verbergen sich allerdings nur ausgesuchte TV-Tipps des Magazins Tele. Immerhin verrät uns die Now&Next-Ansicht beim Zappen, welche Sendungen aktuell und als Nächstes auf den jeweiligen Sendern laufen. Doch wenn man wirklich wissen will, was am Abend auf einem bestimmten Sender läuft, muss man doch tatsächlich die Aufnahmefunktion starten. Denn nur in dieser Ansicht kann man das vollständige zukünftige TV-Programm einsehen. Laut Wilmaa will man einen TV-Guide allerdings «in Kürze» nachliefern.
Ein echter TV-Guide hat die Wilmaa Box nicht - hinter dem «TV-Programm» befinden sich lediglich TV-Tipps des Magazins Tele
Neben den bereits erwähnten Unzulänglichkeiten ist uns die Bedienung auch insgesamt etwas umständlich und oft unfertig vorgekommen. Beispiele gefällig? Im Menü funktioniert die Zurücktaste häufig nicht, stattdessen muss man die Menütaste drücken, um zum Hauptbildschirm zurückzukehren. Will man das Menü komplett schliessen, hilft die Zurücktaste ebenfalls nicht weiter, stattdessen muss man den Menüpunkt «Smart TV» wählen, um zum normalen Live-TV zurückzukehren. Oder: Wenn man beim Zappen einen Sender auswählt, auf dem man sich bereits befindet, wird dieser dennoch neu geladen. Oder: Im Teletext funktionieren die Zahlentasten auf der Fernbedienung nicht, stattdessen muss man die Seitenzahl mühsam mit den Richtungstasten eingeben. Klar, dass alles könnte man als Kinderkrankheiten abtun. Nach einer über einjährigen Testphase sollte man aber solche Probleme eigentlich bereits erkannt und ausgemerzt haben.
Die sogenannte Smart-TV-Ansicht bietet Zugriff auf Funktionen wie Live Pause und Time Machine
Wenigstens weiss die Nutzeroberfläche, allen voran das «Living Room» genannte Hauptmenü, zumindest optisch zu überzeugen. Die Idee mit dem virtuellen Fernseher im Fernseher, auf dem das aktuelle Programm läuft, ist nett.
Auf der nächsten Seite: Time Machine und Aufnahmefunktion

Time Machine und Aufnahmefunktion

Time Machine und Aufnahmefunktion

Wählt man im Hauptmenü den Punkt «Smart TV», erhält man Zugriff auf einige Funktionen betreffend zeitversetztes Fernsehen. Dazu zählt etwa die Live Pause, die man auch über die Pausetaste auf der Fernbedienung erreicht, oder die Time Machine. Letztere ist die Replay-Funktion von Wilmaa, die es ermöglicht, Sendungen bis zu sieben Tage zurück anzuschauen. Das funktionierte im Test problemlos. Weiter ist es möglich, Sendungen als Favoriten zu speichern oder aufzunehmen.
Über die Time Machine haben wir Zugang zu allen Sendungen der letzten sieben Tage
Voraussetzung für das Aufnehmen von Sendungen ist, dass man einen externen Datenträger an einen der zwei USB-Ports an der Vorderseite der Box anschliesst, denn über einen internen Speicher verfügt die Box nicht. Der Vorteil: Getätigte Aufnahmen können anschliessend nicht nur auf der Wilmaa Box, sondern auch direkt an einem Fernseher oder Computer angeschaut werden. Das klappte im Test, die Sendungen werden auf dem USB-Speicher im MPEG-2-Format abgespeichert und können problemlos am PC angeschaut werden. Weniger gut: Auf der Box gelöschte Sendungen waren danach auf dem Speichergerät immer noch zu finden.
Das Aufnahmenverzeichnis: Sobald ein Datenträger angeschlossen wird, wird automatisch mit dem Download begonnen
Dank der Time Machine werden sämtliche Sendungen während sieben Tagen in der Cloud gespeichert, daher kann man Sendungen auch nachträglich noch aufzeichnen. Aus demselben Grund kann man auch mehrere Sendungen gleichzeitig aufnehmen, diese werden dann einfach der Reihe nach heruntergeladen und auf das Speichermedium geschrieben. Nutzt man die Aufnahmefunktion ohne angeschlossenes Speichermedium, wird lediglich eine Verknüpfung zur Sendung angelegt. Diese kann man dann via Time Machine während sieben Tagen abrufen.
Auf der nächsten Seite: Bildqualität und Sender

Bildqualität und Sender

Bildqualität und Sender

Wilmaa empfiehlt für die Box eine Internetgeschwindigkeit von mindestens 10 Mbit/s. Dies, obwohl selbst die HD-Streams eigentlich nur 2,5 Mbit/s benötigen. Der Grund: Als Over-the-Top-Box kann Wilmaa die Streams nicht priorisieren. Das heisst, die verfügbare Bandbreite wird unter allen Teilnehmern im Heimnetzwerk aufgeteilt.
Die effektiv benötigte Bandbreite von 2,5 Mbit/s für HD-Streams ist erstaunlich tief. So benötigt Swisscom für HD-Streams etwa 9 Mbit/s. Wilmaa will die tiefe Bandbreite mit einer besonders effizienten Kompression erreicht haben. In unserem Test bestätigte sich aber die Vermutung, dass die Bildqualität dennoch nicht ganz auf Top-Niveau ist. Insgesamt attestieren wir den HD-Programmen zwar eine gute Bildqualität. Im Direktvergleich mit den HD-Sendern via Swisscom TV kann Wilmaa aber nicht ganz mithalten.
Was uns im Gegensatz zur Bildqualität sehr negativ aufgefallen ist, ist die enorme Verzögerung. Tatsächlich haben wir im Test eine Verzögerung des Wilmaa-Programms von zwischen 70 und 80 Sekunden im Vergleich zu Swisscom TV festgestellt. Und dabei ist auch Swisscom TV bekanntlich ein IP-basiertes Produkt und weist damit selbst schon eine stattliche Verzögerung gegenüber analogem Fernsehen auf. Man stelle sich vor, es ist WM-Finale und die Nachbarn jubeln bereits über eine Minute, bevor man das Tor selbst zu sehen kriegt … Auch was diesen Kritikpunkt betrifft, will Wilmaa aber noch nachbessern.
Auch die Senderauswahl selbst hat uns enttäuscht. Zwar propagiert Wilmaa über 200 Sender, davon gut 40 in HD. Tatsächlich sind es aber praktisch ausschliesslich öffentlich-rechtliche Sender, die in HD-Qualität vorliegen. Private Sender wie Pro7, RTL oder 3+ sucht man hingegen vergeblich in HD. Zudem umfasst die Senderliste zwar 205 Kanäle, das beinhaltet jedoch auch die gut 40 doppelten Programme, die sowohl in SD als auch in HD vorliegen.
Über eine Webseite können wir unsere eigene Senderliste zusammenstellen
Die Senderliste lässt sich übrigens online über ein Webinterface verwalten. Das ist bequem und funktioniert gut. Nur: Hat man einmal eine persönliche Senderliste zusammengestellt, hat man auf der Box selbst nur noch auf diese Zugriff. Eine Möglichkeit, zwischen den Favoriten und allen Sendern zu wechseln, fehlt.
Auf der nächsten Seite: Vergleich mit der Konkurrenz, Fazit

Vergleich mit der Konkurrenz, Fazit

Vergleich mit der Konkurrenz

Wie gut steht es denn um das Preis-Leistungs-Verhältnis der Wilmaa Box im Vergleich zur Konkurrenz? Klar ist: Die 29 Franken im Monat sind kein Schnäppchen. Swisscom TV Basic beispielsweise bekommt man bereits für 21 Franken im Monat - mit deutlich mehr HD-Sendern (über 70) und Replay-Funktion (allerdings nur 30 Stunden zurück). Klar, Swisscom TV Basic bedingt einen Festnetz- und Internetanschluss bei Swisscom und kommt daher insgesamt auf einen deutlich höheren Preis. Aber für Wilmaa Box benötigt man ja ebenfalls einen Internetanschluss.
Bei UPC Cablecom bekommt man das Angebot Horizon Classic für ebenfalls 29 Franken im Monat. Hier ist eine vergleichbare Anzahl HD-Sender (44) inbegriffen sowie ebenfalls 30 Stunden Replay. Insgesamt ist Wilmaa Box also auch kein Preisbrecher, zumal ja noch die 199 Franken für die Box selbst anfallen. Dafür ist man aber wesentlich flexibler, was den Festnetz- und Internetanbieter betrifft, kann die Box zudem theoretisch überallhin mitnehmen und in Betrieb nehmen, sofern eine Internetverbindung zur Verfügung steht.

Fazit

Die Idee hinter der Wilmaa Box ist durchaus interessant - ein unabhängiges und flexibles IPTV-Angebot mit starker Cloud-Anbindung. Die Kritikpunkte bei Technik und Bedienkomfort wiegen momentan aber zu schwer. Alleine die viel zu langen Umschaltzeiten und das Fehlen von TV-Guide und Programmwechseltasten dürften für viele ein K.o.-Kriterium sein. Wilmaa verspricht zwar, viele der Probleme in naher Zukunft zu lösen. Doch im jetzigen Zustand können wir das Produkt nicht empfehlen.

Testergebnis

Einfache Inbetriebnahme, tiefer Stromverbrauch, Aufnahmefunktion, Time Machine, Flexibilität
Kein TV-Guide, Fernbedienung, sehr langsame Programmwechsel, Signalverzögerung, lange Startzeit, wenig HD-Sender, teils umständliche Bedienung

Details:  TV-Box: HDMI, Ethernet, SPDIF, Line-Out, WLAN, 2 x USB 2.0, zwei Fernbedienungen. Funktionen: 205 Sender (ca. 40 in HD), Time Machine (7 Tage), Live Pause, Aufnahmen auf externe Datenträger

Preis:  Fr. 29.-/Monat + einmalig Fr. 199.- für die Box

Infos: 
www.wilmaa.com

Leserwertung

Jetzt abstimmen!
Was halten Sie vom Produkt?



Kommentare
Es sind keine Kommentare vorhanden.