Hansdampf in allen Gassen
27.08.2021, 08:00 Uhr
Test: Apple TV 4K (2. Gen.)
Apples kleine Set-Top-Box kann fast alles. Trotzdem muss sie sich ihre Nische suchen.
Endlich gut zu bedienen!
(Quelle: Apple. Inc.)
Im Zeitalter der Smart-TVs werden die potenziellen Käufer für eine Multimedia-Box rar. Die naheliegende Zielgruppe sind jene TV-Besitzer, deren Gerät in die Jahre gekommen ist und deshalb nicht mehr so smart wirkt. Vielleicht wurde es von den Dienste-Anbietern vergessen und darum wird die App für Netflix oder YouTube nicht mehr aktualisiert, das kommt vor. In solchen Fällen wertet Apple TV die ganze Anlage deutlich auf. Der alte Smart-TV wird hingegen aus Sicherheitsgründen vom Internet getrennt und futtert fortan sein Gnadenbrot als Monitor.
Allerdings ist der Markt unterdessen stark umkämpft. Apple TV und die Android-basierte Shield TV bilden unbestritten die Königsklasse. Doch beide haben ihren Preis, während der Markt auch einfach gestrickte, aber günstigere Geräte wie Fire TV oder Roku bereithält. Aber das ist ein anderes Thema.
Die Fernbedienung
Äusserlich ist die Apple-TV-Box praktisch nicht vom Vorgänger zu unterscheiden. Den grossen Unterschied macht die Fernbedienung, die endlich keine Katastrophe mehr ist. Die unsägliche Touch-Oberfläche ist einem «Click Wheel» gewichen, wie wir es von den alten iPods her kennen.
Neu dabei: eine Mute- und eine Power-Taste (mit etwa 60 Jahren Verspätung)
Quelle: Apple Inc.
Das heisst: Über Wischgesten am Ring oder im Mittelpunkt wird durch die Menüs geblättert oder die Video-Wiedergabe gesteuert. Wem das immer noch zu viel ist, der schaltet diese Funktionalität in den Einstellungen komplett ab. Zurück bleiben ein angenehmes Klickgefühl und ein intaktes Nervenkostüm.
Nein, nur das Klicken bitte!
Quelle: PCtipp.ch
Was schier unglaublich ist: Die neue Fernbedienung kommt tatsächlich mit einer Mute-Taste, um den Ton stummzuschalten! Wo war diese Taste nur all die Jahre? Selbst eine Power-Taste ist jetzt mit dabei, um die ganze Anlage auf Knopfdruck auszupusten. Oder anders gesagt: Die neue Fernbedienung liefert endlich das, was seit Jahrzehnten selbstverständlich sein sollte.
Gesucht und gefunden
An der rechten Stirnseite befindet sich die Taste für das Mikrofon. Wie auch beim HomePod bleibt Siri in der Schweiz ausser Betrieb, sodass keine Wetterprognosen abgefragt werden können. Sei’s drum.
Die Taste kann aber auch dazu verwendet werden, um nach Inhalten zu suchen – und das funktioniert unglaublich schnell und zuverlässig! In einer App wie YouTube wurden Suchbegriffe praktisch ohne Verzögerung eingegeben. Von 20 Versuchen mit deutschen und englischen Begriffen (inkl. Mischformen) lag die Spracherkennung kein einziges Mal falsch!
Wird die Suche auf dem Hauptbildschirm gestartet, findet der Begriff «Endgame» sowohl Songs und Podcasts von Apple Music als auch den Marvel-Film «Avengers: Endgame», der auf dem installierten Streaming-Dienst «Disney+» angeboten wird. Der wird also gleich mit durchsucht. Besser geht es kaum.
Die Plattform für die Arcade
Innerhalb der schwarzen Box wirkt die A12 «Bionic»-CPU, die 2018 zum ersten Mal im iPhone Xs zum Einsatz kam – und die sich auch heute nicht hinter anderen Hochleistungs-CPUs verstecken muss. Die gebotene Leistung richtet sich klar an die Spieler, oder genauer: an die Abonnenten der Apple Arcade, die zeigt, was in der Apple-Hardware steckt.
Immer für etwas Abwechslung gut: die Arcade
Quelle: PCtipp.ch
Die Arcade wird als separates Abo vertrieben und kostet gerade einmal 6 Franken pro Monat. Dafür werden über 180 Spiele angeboten, viele davon exklusiv, die ohne Werbung oder In-App-Käufe auskommen. Mehr noch: Zu diesem Preis lässt sich die Arcade über die Familienfreigabe mit dem Rest der Bande teilen. Ausserdem laufen die Games laufen auf dem iPhone, dem iPad und dem Mac.
Bei über 180 Spielen findet jeder Topf seinen Deckel
Quelle: PCtipp.ch
Die neue Fernbedienung wirft allerdings einige Spiele aus dem Rennen. Der alte Knochen war noch mit einem Gyrosensor ausgestattet, der jetzt fehlt. Spiele, die durch die Neigung oder das Herumfuchteln mit der Fernbedienung gesteuert werden, haben ausgespielt.
Geblieben ist die hervorragende Controller-Unterstützung, die sich mit fast allen Spielen verträgt. Über die Einstellungen lassen sich die Controller der Xbox One und der Xbox Series X verbinden.
Die bestmögliche Erweiterung der Arcade: ein Xbox-Controller
Quelle: PCtipp.ch
Dasselbe gilt für die Controller der PlayStation 4 und der PlayStation 5 sowie für alle Controller, die als MFI zertifiziert sind (Made For iPhone).
Für das Koppeln der Controller stehen eigene Einstellungen bereit
Quelle: PCtipp.ch
Deshalb ist es schwer nachzuvollziehen, warum die Geräte nur mit 32 GB oder 64 GB zur Auswahl stehen. Spiele wie Fantasian wiegen locker die 4.6 GB, sodass es schnell eng wird. Eine 128-GB-Version wäre wünschenswert gewesen. Auf jeden Fall sollten Sie unbedingt die 30 Franken Mehrkosten für die 64-GB-Variante aufwerfen.
Film und Farbe
Bei der Film- und Tonwiedergabe lässt Apple TV 4K kaum einen Wunsch unerfüllt. Die neue Box kommt mit HDMI 2.1 und unterstützt die Wiedergabe von 4K-Filmen in Dolby Vision und mit bis zu 60 fps. Ruckeleien bleiben dabei aus, denn in den Einstellungen lässt sich festlegen, dass sich die Wiederholrate automatisch an das Material angleicht. Das betrifft nicht nur Streifen in 24 fps, 30 fps oder 60 fps, sondern auch so krumme Relikte vergangener Tage wie 23,976 fps. Eine ähnliche Umschaltung pickt automatisch den richtigen Standard für die Bildwiedergabe heraus, also HDR, SDR oder Dolby Vision.
Dynamik und Bildrate werden auf Wunsch automatisch angepasst – doch wer will das nicht?
Quelle: PCtipp.ch
Für ältere oder schlecht eingestellte Fernseher bietet sich eine andere Neuerung an: die Abstimmung der Farbbalance. Die Messung erfolgt dabei über ein iPhone, das mit Face ID ausgestattet ist.
Das Testfeld ist auf einem 77-Zoll-TV ist grösser als ein 12.9-Zoll-iPad
Quelle: PCtipp.ch
Dabei wird gemäss Apple die erfasste Farbbalance mit den «branchenüblichen Spezifikationen» verglichen. Die kleine Box passt die Ausgabe anschliessend an, um genauere Farben und einen besseren Kontrast zu liefern, ohne dass dazu Einstellungen des Fernsehers geändert werden müssen.
Im Test war auf unserem Fernseher nicht viel zu sehen. Zum einen funktioniert die Einrichtung nur, wenn Dolby Vision nicht verwendet wird. Da die Box an einem CX-Modell von LG hängt, musste in den Einstellungen des Apple-Gerätes zuerst von Dolby Vision auf HDR umgeschaltet werden; aber auch da konnte die Funktion nicht weiterhelfen.
Gehen Sie bitte weiter, es gibt hier nichts zu sehen
Quelle: PCtipp.ch
Es scheint sich also um eine Funktion für mittelprächtige Fernseher zu halten. Positiv ist, dass es nichts zu verlieren gibt. Sie müssen keinen einzigen Regler an den TV-Einstellungen ändern, damit die Kalibrierung ihre Wirkung entfaltet. Und wenn das Resultat nicht überzeugt, werden die Anpassungen einfach verworfen.
Bei all dieser Glorie gibt es jedoch einen Stolperstein, der mich daran hindert, das Apple TV 4K zum alleinigen Zuspieler zu machen: die gewählte Farbgebung betrifft alle Inhalte. Bei uns ist jedes Gerät am Fernseher über den jeweiligen HDMI-Eingang farblich abgestimmt, darunter drei Spielkonsolen. Die Apps im Smart-TV laufen hingegen mit einer lebendigen, aber neutralen Abstimmung, die vor allem zu YouTube passt.
Apple TV wiederum ist bei uns das Gerät, das Filme ab dem NAS wiedergibt – und darauf sind die Bildeinstellungen optimiert. Werden auf Apple TV hingegen YouTube-Beiträge geschaut oder Spiele gespielt, wirkt deren Wiedergabe zu bräunlich und zu gedämpft. Dasselbe Problem existiert auch in die andere Richtung. Also: Selbst bei einem so flexiblen Gerät kann man leider nicht alles haben.
Infuse
Apropos Filme: Es gibt viele gute Gründe, ein Apple TV anzuschaffen. Doch für uns in der Familie ist es in erster Linie das Gerät, auf dem der Mediaplayer Infuse läuft. Ich würde sogar die Apple-Box allein deshalb kaufen, weil dieser System-Seller verfügbar ist.
Mediacenter ohne Tadel: Infuse von Firecore
Quelle: PCtipp.ch
Infuse zapft den Ordner «video» auf dem NAS an. Wenn die Dateien korrekt mit Namen und Erscheinungsjahr beschriftet sind («James Bond 007 jagt Dr. No 1962») klaubt sich Infuse die Filminformationen und das Cover aus dem Internet, so wie jedes gute Mediacenter. Die exakten Filmnamen suchen Sie am besten auf der Seite themoviedb.org.
Was die Software auszeichnet, ist die wunderschöne, intuitive und familientaugliche Oberfläche. Auch die grössten Filmdateien werden über Ethernet ruckelfrei abgespielt, inklusive High-End-Eigenschaften wie 4K, Dolby Vision und Dolby Atmos.
Auch die Cover werden automatisch aus dem Internet geladen
Quelle: PCtipp.ch
Die kostenlose App kann bereits unheimlich viel, aber für einige Besonderheiten wird die Pro-Version benötigt; sie kostet Fr. 10.50 jährlich oder Fr. 75.– einmalig mit lebenslangen Updates. Ein Abo deckt Infuse auf dem Apple TV, dem Mac, dem iPad und dem iPhone ab. Mehr dazu bei firecore.com. Die Website gibt es nur in Englisch, doch die Software ist in Deutsch lokalisiert.
Fazit: ein Update für Kenner
Für wen ist die zweite Generation des Apple TV 4K eigentlich gemacht? Die Frage hat es in sich. Schliesslich ist die alte Box kaum langsamer. Die Kalibrierung der Farben ist eine Eigenschaft von tvOS 14.5 und deshalb auch auf der Vorgänger-Version verfügbar. Ausserdem wird das Gerät immer noch mit 32 GB und 64 GB angeboten, sodass es auch hier nichts zu holen gibt.
In erster Linie trennt sich Apple von der unsäglichen Fernbedienung. Der neue Zauberstab ist sehr viel griffiger und ansprechender. Er lässt sich auch im Dunkeln korrekt in die Hand nehmen und blind bedienen. Die Power- und die Mute-Tasten sind nun ebenfalls dabei. Bloss: Die neue Fernbedienung funktioniert auch mit dem alten Apple TV 4K und dem Apple TV HD; sie wird für 65 Franken separat angeboten. Genau genommen sollten sich gestandene Apple-TV-Besitzer diese Fernbedienung kaufen und auf die nächste Generation der Box warten. Wenn das Thema für Sie hingegen neu ist, kommt nur das neue Apple TV 4K infrage; Sie können damit nichts falsch machen – solange Sie zur 64-GB-Version greifen.
Voll familientauglich: die Oberfläche von tvOS
Quelle: PCtipp.ch
Was bleibt? Die neue Box ist die erste Wahl, wenn Sie eine Anwendung für HDMI 2.1 mit eARC sehen. Zusammen mit der Apple Arcade erhalten Sie für wenig Geld eine unhörbar leise, dezente Spielkonsole, die sich mit den besten Controllern der Branche versteht. Und mit Infuse steht ein Mediaplayer bereit, den vermutlich nicht einmal Apple so gut hinbekommen würde.
Der Rest hängt von Ihren persönlichen Umständen ab. Suchen Sie eine Erweiterung für den vergreisten Smart-TV? Dann sollten Sie Apple TV 4K in die Überlegungen einschliessen. Wenn Sie hingegen einen modernen, schnellen Smart-TV mit den aktuellen Apps Ihr Eigen nennen, dann bleibt tatsächlich nicht viel übrig – ausser eben der Apple Arcade und Infuse.
Testergebnis
Leistung, Filmwiedergabe, Benutzerprofile, HDMI 2.1, Sprachsuche, Oberfläche, Hilfe bei der Kalibrierung, integriertes Netzteil
Knapper Speicher, kein Siri in der Schweiz
Details: Apple A12 «Bionic», HDMI 2.1, Ethernet, Bluetooth 5, Wi-Fi 6 (AX), Thread, Abmessungen: 98 × 98 × 35 Millimeter, tvOS 14
Preis: Fr. 199.– (32 GB) resp. Fr. 228.90 (64 GB)
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