Das iPhone als Kamera-Ersatz

Die ideale Kamera-App

Verlieren wir zum Schluss ein paar Worte über die beste professionelle Kamera-App, die alles kann, eine komplett manuelle Steuerung erlaubt und die mit den raffiniertesten Bildalgorithmen arbeitet. Sie entwickelt die Fotos wie ein klassisches Labor, erstellt Videos wie eine TV-Kamera, macht Tante Frieda vierzig Jahre jünger und ist auch sonst in jeder Hinsicht unerreicht.
Das Problem: Diese und ähnliche Heilsversprechen passen auf Dutzende Kamera-Apps – und sie alle überschlagen sich mit vermeintlichen Alleinstellungsmerkmalen. Im Lauf der Jahre habe ich vermutlich den Preis eines Mittelklasse-Teles in Kamera-Apps investiert, nur um am Ende zu diesem einen Schluss zu kommen: Die beste Kamera-App ist jene, die Apple mitliefert. Und das hat gute Gründe.

Schnappschüsse

Bei Schnappschüssen kommt es auf die Sekunde an. Nur die Kamera-App von Apple lässt sich direkt im Sperrbildschirm über ihr Symbol starten – oder einfach mit einem Wischen von rechts nach links. Die Oberfläche ist ausserdem sehr einfach strukturiert, sodass keine Einstellungen den Fotografen ausbremsen.
Tipp: Machen Sie es sich in besonders dynamischen Situationen zur Gewohnheit, einfach Serienbilder zu schiessen und den Auslöser so lange gedrückt zu halten, bis alles vorbei ist. Danach lassen Sie das iPhone aus einem Berg von zweihundert Bildern die besten auswählen.

Funktionsumfang

Apples Kamera bietet einen enormen Funktionsumfang, doch dieser offenbart sich zum Glück nicht auf den ersten Blick. Stattdessen sind viele Regler ausgeblendet oder Funktionen so konzipiert, dass sie beim Fotografieren nicht im Weg stehen. Allein durch ein Tippen auf den Pfeil am oberen Rand werden neun weitere Symbole eingeblendet, etwa für den Selbstauslöser:
Die Kamera-App von Apple ist gespickt mit Funktionen, die sich erst auf den zweiten Blick offenbaren
Quelle: PCtipp.ch
Tipp: Sie werden schnell herausfinden, welche Einstellungen am besten zu Ihrer persönlichen Arbeitsweise passen. Damit diese Anpassungen nicht bei jedem Start der Kamera zurückgesetzt werden, öffnen Sie in den Kamera-Einstellungen den Bereich «Einstellungen beibehalten». Hier wählen Sie aus, welche Eigenschaften zwischen den Shootings erhalten werden sollen.
Diese Einstellungen speichern, welche Kamera-Eigenschaften erhalten bleiben
Quelle: PCtipp.ch

Fremde Versprechen

Doch das wichtigste Argument für die Apple-Kamera ist die Tatsache, dass andere Apps auch nur mit Wasser kochen und oftmals Funktionen anpreisen, die keinen oder nur einen zweifelhaften Mehrwert bringen. Hier einige Klassiker.
Filter. Einige Apps bieten Filter, die bereits bei der Aufnahme aktiv sind. Doch warum sollte man eine Aufnahme dauerhaft verändern, wenn im App Store hunderte Apps diese Effekte nachreichen, ohne das Original zu schädigen?
HDR-Funktion. Eine vollmundig angepriesene HDR-Funktion klingt nach grossarten Resultaten. Allerdings sorgt die Image-Pipeline des iPhones bei jedem einzelnen Foto dafür, dass keine Schatten absaufen und keine Lichter ausgefressen werden. Für eine weitere HDR-Funktion gibt es nur wenige gute Gründe – es sei denn, man steht auf den übertriebenen HDR-Look.
Zebra-Muster. Einige Apps markieren über- und unterbelichtete Stellen mit einem Zebramuster, wie es heute die besseren Videokameras im Sucher einblenden. Doch auch hier sorgt die HDR-Funktion der Kamera dafür, dass es solche Stellen gar nicht gibt, solange Sie nicht versuchen, Sonnenflecken zu fotografieren oder die Belichtung manuell zu justieren.
Belichtung und Fokus getrennt. Auch das wird gerne hervorgehoben: Die Belichtung und der Fokus lassen sich getrennt einstellen. Doch das schafft auch Apples Kamera-App, einfach ohne Extra-Regler: Drücken Sie über dem anvisierten Teil so lange auf das Display, bis am oberen Rand der Hinweis «AE/AF-Sperre» eingeblendet wird. Jetzt ist der Fokus für diese Aufnahme fixiert. Wischen Sie nun auf dem Display nach oben und unten, um die Belichtung separat anzupassen.
Manuelle Belichtung. Auch das klingt professionell, ist aber wenig sinnvoll, denn genaugenommen kann damit nur die Helligkeit gesteuert werden – entweder durch die Verschlusszeit, die Empfindlichkeit oder durch die Software. Bis und mit iPhone 14 hatte jedoch kein einziges iPhone eine echte, variable Blendenöffnung, die sich gezielt einsetzen lässt. Wenn Ihnen der Sinn nach manueller Fotografie steht, ist eine klassische Kamera tatsächlich die bessere Wahl.
Algorithmen. Gerne werden besonders ausgebuffte Algorithmen angepriesen, etwa für Nachtaufnahmen, Makros und mehr. Allerdings ist es fraglich, ob diese besser sind als jene von Apple. Das werden wir allerdings nie herausfinden, weil diese Apps gar nicht früh genug auf die Bilddaten zugreifen können. Jede Aufnahme durchläuft zuerst die Image-Pipeline, bevor eine Kamera-App weitermachen darf – und dann ist es bereits zu spät, um eine grundlegende Änderung am Material vorzunehmen.



Kommentare
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hape52
21.11.2022
Ein sehr gut geschriebener und informativer Bericht von Klaus Zellweger, vielen Dank

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Tömu47
21.11.2022
Die neuste Generation des iPhone scheint es wert zu sein, näher betrachtet zu werden. Der einfachere Workflow wird zwar erwähnt, aber eben nur unvollständig. Alles darum herum, hoher Akkuverbrauch, iCloud Speicher kostenpflichtig upgraden, Speicher iPhone auch nicht zu knapp, Übersichtlichkeit der tausend Ferienbilder... An all das muss man auch denken. Für den Durchschnittsknipser eine valable Alternative. Für den Profi, der nichts dem Zufall, sprich sich nicht den inherenten Softwareautomatismen hilflos auszusetzen, überlassen möchte, eher nicht. Die Frage ist auch, in welcher Auflösung man die (RAW) Daten möchte? Solles ein Plakat 2 x 3 m geben? Oder ein Föteli für die eigene Website? Der Artikel kann die Problematik nur unvollständig wiedergeben und ist eher ein provokativer Aufreisser.

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waendi
21.11.2022
Toller Artikel, der mich in meinem Fotographie-Verhalten bestätigt. 2011, als ich noch mit einem Photorucksack und DSLR, 3 Objektiven, Blitzgerät und einem Laptop auf der chinesischen Mauer herumturnte, habe ich mir geschworen, auf Reisen kein solches Riesengepäck mehr mitzunehmen. Es folgte dann eine "Reduktion" auf insgesamt 2 Bridge Kameras (Canon G12 und später G1X III) und seit etwa 2 Jahren praktisch nur noch mit dem iPhone, aktuell XR. Nachbearbeitung erfolgt dann immer mit Adobe Lightroom Classic. Natürlich sieht man - bei ganz genauem Hinsehen - einen Unterschied zwischen den Foto-Kameras und dem iPhone. Aber für Reisefotos (man hat ja sowieso kaum Zeit, lange auf die optimale Einstellung / Sonnenlicht / warten bis herumspazierende Touristen weg sind -zu warten) bin ich vollends auf das iPhone umgestiegen und schätze die "Immer-Dabei-Kamera" ausserordentlich. Und 2023/2024 steige ich dann ev. auf iPhone 14 Pro oder 15 Pro - sicher dann ein gewaltiger Fortschritt gegenüber meinem aktuellen iPhone.

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Tömu47
21.11.2022
Toller Artikel, der mich in meinem Fotographie-Verhalten bestätigt. 2011, als ich noch mit einem Photorucksack und DSLR, 3 Objektiven, Blitzgerät und einem Laptop auf der chinesischen Mauer herumturnte, habe ich mir geschworen, auf Reisen kein solches Riesengepäck mehr mitzunehmen. Es folgte dann eine "Reduktion" auf insgesamt 2 Bridge Kameras (Canon G12 und später G1X III) und seit etwa 2 Jahren praktisch nur noch mit dem iPhone, aktuell XR. Nachbearbeitung erfolgt dann immer mit Adobe Lightroom Classic. Natürlich sieht man - bei ganz genauem Hinsehen - einen Unterschied zwischen den Foto-Kameras und dem iPhone. Aber für Reisefotos (man hat ja sowieso kaum Zeit, lange auf die optimale Einstellung / Sonnenlicht / warten bis herumspazierende Touristen weg sind -zu warten) bin ich vollends auf das iPhone umgestiegen und schätze die "Immer-Dabei-Kamera" ausserordentlich. Und 2023/2024 steige ich dann ev. auf iPhone 14 Pro oder 15 Pro - sicher dann ein gewaltiger Fortschritt gegenüber meinem aktuellen iPhone. Adobe Lightroom: Was nützt dir dieses gewaltige Bildbearbeitungstools, wenn du von abgespeckten Bilddateien ausgehst? Kannst du es überhaupt ausnutzen? Das ist in etwa vergleichbar den Ferrari nur für den Einkaufsbummel zu benutzen.

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waendi
21.11.2022
Adobe Lightroom: Was nützt dir dieses gewaltige Bildbearbeitungstools, wenn du von abgespeckten Bilddateien ausgehst? Kannst du es überhaupt ausnutzen? Das ist in etwa vergleichbar den Ferrari nur für den Einkaufsbummel zu benutzen. Hallo Tömu47, Ich benutze Lightroom seit Version 2 und verwalte gegen 90000 Fotos/Videos von allen meinen aktuellen und bisherigen Kameras. Ja, ich benutze Lightroom Classic fast täglich - mit den vielen Einstellungsmöglichkeiten kann man auch aus iPhone Bildern vieles herausholen, z.T. in Zusammenarbeit mit Photoshop. Für MICH ist es eine ideale Kombination und mit der detaillierten Verschlagwortung in LR finde ich gewünschte Bilder in wenigen Sekunden.

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pctippi
22.11.2022
Ach beim Autor sollte sich der eben beschriebener Schalter im Hirn mal von aus auf an umschalten. Vorallem wenn man sieht, was viele hervorragende Smartphones ohne Schranken und einem Design aus letztem Jahrhundert, bieten dann kann man ein iPhone als Briefbeschwerer benutzen und mehr nicht. Früher hatte diese Seite ausgezeichnete Autoren die mit einem enorm Weitblick auf die Sachen rangegangen sind, jetzt haben sie irgendeinen Apple Fanatiker. Es gibt eben User und es gibt kenner, für die einen ist ein Apple Gerät sicher gut aber für den anderen nur Schrott

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Jürgen N.
22.11.2022
Kann pctippi nur bestätigen. Zwar nur bis Iphone 11, aber wenn ich die Aufnahmen meiner Tochter mit meinem Samsung A52 auf einem 27 " Bildschirm vergleiche, kann ich nur sagen ausser Spesen nichts gewesen. Und ich habe immerhin über 250 Franken weniger bezahlt. Zum Glück kann ich die Kitsch-Farben leicht am PC korrigieren.

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gucky62
23.11.2022
Naja, als Ersatz für die "Schnappschuss Kamera" von früher ist das IPhone oder andere Smartphones mit guter Kamera gut geeignet. Aber nicht als wirklicher Kameraersatz für eine DSLR mit Minimum APS-C oder erst recht nicht mit Vollformat DSLRs. Egal ob nun Spiegellos oder oder mit Spiegel. Da bewegen wir usn nun einmal in sehr unterschiedliche Sphären. Udn das sieht man sowohl den Bildern an. Was aber auch auch normal ist. Optik ist nun einmal auch Physik und da braucht es Licht und entsprechende Sensoren die dieses Licht das durch entsprechende Gläser kommt einfangen. Eine kleine Optik wie diese in Smartphones und auch dem IPhone, selbst inkl. 14 Pro Max kann dies schon physikalisch nicht hin bekommen. Kleine Sensoren, kleine Optik. Vergesst es. Mit Software kann man viel rechnen und was raus kommt ist nicht schlecht, aber die Physik lässt sich mit Software nicht umgehen. Aber da unterscheiden sich wohl auch die Ansprüche an ein Foto. Ich bleibt da mal für das Photographien bei meiner Nikon D850. Klar grösser, aber eben, ist eine andere Ebene. Das IPhone aber diehnt unterwegs eben als Schnapsschuss-Kamera. Gruss Daniel