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22.06.2016, 08:06 Uhr
«Wer nicht programmieren kann, sollte keine Matur machen dürfen»
Programmieren an der Grundschule ist ein Muss, sagen Wirtschaftsvertreter und Politiker.
«Neben Lesen und Schreiben muss man in der Primarschule auch Programmieren unterrichten.» Dies fordert der ehemalige Nationalbankpräsident Philip Hildebrand am Swiss Economic Forum, wie die «Schweiz am Sonntag» berichtete. Weil die «rund 1300 Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft» applaudierten, fragte die Zeitung: «Ein Alarmsignal?» Verschiedene Exponenten beantworten in der Folge die Frage mit «ja», unter ihnen SVP-Politiker Felix Müri, Rudolf Minsch vom Wirtschaftsverband Economiesuisse oder Alexander Repenning, der schweizweit erste Professor für Informatische Bildung an der Pädagogischen Hochschule FHNW. Der Zürcher FDP-Ständerat und IT-Unternehmer Ruedi Noser fordert sogar: «Keiner sollte in der Schweiz die Matur machen dürfen, wenn er nicht mindestens eine Programmiersprache beherrscht.»
Die Aufregung kommt reichlich verspätet. Die Bildungspolitik hat dafür gesorgt, dass mit dem Lehrplan 21 Informatik im obligatorischen Schulunterricht wesentlich mehr Gewicht erhält. Zwar hat es nicht für ein eigenes Fach gereicht, doch gemeinsam mit «Medien» wird es fortan auf Grund- und Oberstufe landesweit gelehrt werden. Die Ausgestaltung wird Sache der Kantone sein und dabei zeichnet sich bereits ab, dass die Informatikkenntnisse der Schüler stark mit dem Wohnort korrelieren werden.
Jeder Kanton, wie er will
Kantone wie St. Gallen oder Luzern planen, in der 5. und 6. Klasse je eine Lektion Medien und Informatik pro Woche zu unterrichten, macht bei 40 Schulwochen insgesamt 80 Lektionen Unterricht. In der 8. und 9. Klasse soll es noch einmal ein Fach Medien und Informatik geben. Bloss: Was fällt dafür weg? Denn die Stundentafel ist bereits dicht gefüllt, man sollte den Schülern nicht mehr als 26 bis 30 Lektionen (1. bis 6. Klasse) respektive 34 Lektionen (7. bis 9. Klasse) pro Woche zumuten, gibt die Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz in einer Empfehlung ab. An Schulen, wo Medien- oder Informatikkompetenz bislang nicht als eigenes Fach gelehrt wurde, muss also aller Voraussicht nach ein Fach Stunden abgeben. Soll das Sport sein? Musik? Mathe? Oder sogar Deutsch? Die Diskussionen dürften hitzig geführt werden.
So befindet sich der Lehrplan 21 in Zürich derzeit in der Vernehmlassung. Eigentlich ist man zufrieden, dass Medien und Informatik ein eigenes Fach erhält. Doch niemand will dafür Platz auf der Stundentafel machen. Nun wird darüber nachgedacht, weniger Halbklassenunterricht anzubieten, was aber nicht überall auf Verständnis stösst. «Kleinklassenunterricht für Medien und Informatik aufzuheben, ist unsinnig», sagt Christine Flitner, Zentralsekretärin für Bildung, Erziehung und Wissenschaft des Schweizerischen Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD). Talentierte Kinder zu fördern, sei wichtiger. Ohnehin denkt Flitner, dass kein Fach für Medien und Informatik Platz auf der Stundentafel räumen sollte. Stattdessen sollte das Fach in verschiedenen Lektionen behandelt werden, da man gerade anwendungsorientierten Medienunterricht problemlos beispielsweise in den Deutschunterricht integrieren könnte.
Die beiden Basel als Vorreiter
Dieser Diskussion aus dem Weg gegangen sind die beiden Basler Halbkantone. Basel-Landschaft und Basel-Stadt haben den Lehrplan 21 auf Primarstufe bereits eingeführt, in der Sekundarstufe ist die Einführung in Basel-Landschaft derzeit gestoppt. Damit sind sie weiter als alle anderen Kantone und haben ihren eigenen Weg eingeschlagen: «Beide Kantone sehen Medien und Informatik als überfachliches Modul», erklärt Lukas Dettwiler, Leiter des Bereichs ICT-Bildung im Kanton Basel-Landschaft. Bedeutet: Medien und Informatik wird nicht als einzelnes Fach angeboten, sondern über alle Fächer hinweg im Unterricht verankert. So müssen Schüler im Fach Mathematik «Programme mit Schleifen, bedingten Anweisungen und Parametern schreiben und testen können» (Auszug aus dem Lehrplan 21 des Kantons BL). Dettwiler ist sich bewusst, dass es bisher nicht genügend Fachkräfte gibt, um den Kindern das Programmieren beizubringen. Indem man eigene Kurse anbietet und mit der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz zusammenarbeitet, will man die Lehrer fit für Medien und Informatik machen. Erst in fünf Jahren muss die Umsetzung abgeschlossen sein. Genügend Zeit also, um das Personal zu rekrutieren.
Bis dahin haben hoffentlich auch die Schulen ihre Hausaufgaben gemacht. Diese würden teilweise noch nicht verstehen, was von ihnen mit dem Lehrplan 21 verlangt wird, sagt Dettwiler. «Die Schulen wurden deshalb angewiesen, bis 2018 ein ICT- und Medienkonzept vorzulegen.» Dieses Konzept beschreibt, wie eine Schule den Bildungsauftrag umsetzt und welche ICT-Infrastruktur sie dazu nutzt. Dazu gehört bei den Gemeindeschulen, das sind im Kanton Basel-Landschaft die Primarschulen, auch ein Finanzierungsplan für benötigte Hard- und Software. Die meisten Schulen hätten das getan und nun sei man zuversichtlich, die benötigten Kenntnisse vermitteln zu können, sagt Dettwiler.
Das fehlende IT-Wissen auf Lehrerstufe ist aber ein grösseres Problem, als Dettwiler zugeben will. Oder die Basler haben es geschickter gelöst. In vielen Kantonen bietet jedenfalls die pädagogische Hochschule, die Lehrer ausbildet, noch nicht einmal Informatikkurse an. Und für Weiterbildungen «on the job» fehlt den Lehrern oft die Zeit.
Gut Ding will Weile haben
Auch deshalb, sagt Christoph Mylaeus, Geschäftsleiter der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK): «Praktisch alle Kantone benötigen Übergangszeiten bei der Einführung des Fachs ‹Medien und Informatik›. Positiv sei, dass bereits 18 Kantone die Umsetzung des Lehrplans 21 im Grundsatz beschlossen haben. Dabei kristallisiert sich heraus, dass das Basler-Modell keine Schule machen dürfte: «In den meisten Kantonen wird Medien und Informatik nicht fächerübergreifend unterrichtet werden», sagt Mylaeus. Sondern als Modul in rund 80 Lektionen in der 5. und 6. Klasse – pro Woche eine Stunde. Die Kantone seien sich bewusst, dass die Umsetzung nicht einfach werden wird. Nebst fehlendem Fachwissen lässt auch die Infrastruktur, besonders an den Primarschulen, teilweise sehr zu wünschen übrig. Für eine Modernisierung müssen die Gemeinden überzeugt werden, mehr in ihre Schulhäuser zu investieren, bei den derzeit eher zurückgehenden Budgets keine einfache Aufgabe. Mylaeus hat deshalb einen Vorschlag: Es gebe ja auch die Möglicheit von BYOD. Wichtig sei, dass die Infrastruktur an den Schulen vorhanden sei, etwa die Serverinfrastruktur und der Internetzugang. Und dass die Ende der 90er-, Anfang der 0er-Jahre gebauten Informatikräume überdacht würden. Deren Konzept hätte mittlerweile ausgedient.
Mylaeus ist überzeugt, dass es dank der vielerorts gewählten Übergangsfristen gelingen wird, Medien und Informatik in allen Kantonen erfolgreich in den Lehrplan zu integrieren. Und erwähnt zum Ende noch einen interessanten Punkt: «Über die Einführung von Informatik in den Schulunterricht sollte auch an den Gymnasien nachgedacht werden. Ohne Verständnisse von Datenauswertungen kann heute kaum mehr ein Studium abgeschlossen werden.»
Autor(in)
Fabian
Vogt
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