Energiekrise
09.09.2022, 08:00 Uhr
Selbstlernender Algorithmus spart ein Viertel der Heizenergie
Ein neuer, selbstlernender Algorithmus soll die Temperaturkontrolle in Gebäuden wesentlich effizienter regeln. Erste Tests zeigen vielversprechende Resultate. Sogar in einem alten Gebäude konnte die verbrauchte Heizenergie um beinahe 25 Prozent reduziert werden.
Um die steigenden Heizkosten und den Energieverbrauch zu senken, hat Viboo, ein Spin-off der Schweizer Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa), einen Algorithmus entwickelt, der auch ältere Gebäude mit gut einem Viertel weniger Energie betreiben kann. Und das bei gleichbleibendem oder gestiegenem Nutzerkomfort.
Die Idee eines Thermostaten, der das Raumklima vorausschauend regelt, kam den beiden Forschern Felix Bünning und Benjamin Huber während ihrer Arbeit bei der Empa. Dazu entwickelten die Zwei einen Regelalgorithmus, der Wetter- und Gebäudedaten auswertet und darauf basierend bereits mehrere Stunden im Voraus den Energieaufwand eines Gebäudes berechnen kann. Erste Experimente, unterstützt von der Empa, zeigten ein Energiesparpotential von beinahe 25 Prozent. Ein Erfolg, der im März 2022 zur Gründung des Spin-offs Viboo führte, über das die neue Lösung nach weiteren Tests auf den Markt gebracht werden soll.
Tests in älterem Gebäude
Nach dem ersten Praxistest in einem modernen Gebäude der Empa war es an der Zeit, dem neuen Algorithmus eine etwas schwerere Herausforderung zu stellen. «Wir zielen darauf ab, unsere Lösung in älteren Gebäuden zu integrieren, in denen es kein Gebäudeleitsystem gibt», meint Huber. Dazu brauchten die zwei jungen Unternehmer jedoch nicht nur ein geeignetes Gebäude, sondern auch einen Partner, der smarte Thermostate offerierte.
Die Empa wollte Viboo weiterhin unterstützen. Sie stellte dem Spin-off ein älteres Verwaltungsgebäude aus den 60er-Jahren, das 2009 renoviert wurde, zur Verfügung, um den nächsten Test durchzuführen. Auch bei der Suche nach einem Partner mit geeigneten Thermostaten wurde Viboo fündig. «Mit Danfoss konnten wir einen internationalen Hersteller für das Projekt gewinnen, dessen smarte Heizkörper-Thermostate bereits eine geeignete Schnittstelle besassen. Über diese können die vom Viboo-Algorithmus berechneten Stellwerte aus der Cloud an die Hardware übermittelt werden», meint Huber.
150 analoge Thermostate wurden durch die smarte Lösung von Danfoss ausgewechselt und mit der Cloud von Danfoss verbunden. Die kommunizierte wiederum mit der Viboo-Cloud, auf welcher der selbstlernende Algorithmus lief.
Der Test fand zwischen Weihnachten 2021 und Ende März 2022 statt. Um passende Vergleichswerte zu erhalten, wurde der Betriebsmodus regelmässig vom Viboo-Regler auf den Standardbetrieb der Lösung von Danfoss und wieder zurück gewechselt. Nach der Testperiode wurden zusätzlich die Nutzerinnen und Nutzer nach ihrer Einschätzung bezüglich des Raumkomforts und ihrer Einstellung zur smarten Lösung befragt.
Energie gespart und den Komfort gesteigert
Die Ergebnisse des Tests waren positiv. Der Energieverbrauch des Gebäudes sank im Vergleich zur Vorjahresperiode um 23 Prozent – und das bei gutem Feedback der Nutzer. Laut Bünning ist der Nutzerkomfort entweder gleichgeblieben oder sogar gestiegen. «In unseren Umfragen haben sich nur ganz wenige Nutzerinnen und Nutzer skeptisch gegenüber der neuen Technologie gezeigt. Das stimmt uns zuversichtlich, dass auch der Markt unsere Lösung annehmen wird.»
Ein weiterer Grund für die optimistische Stimmung könnte auch der Performance-Vergleich mit der Lösung von Danfoss sein. Diese konnte den Stromverbrauch nämlich nur um 12 Prozent, und damit wesentlich weniger als der Algorithmus von Viboo, senken. Entsprechend ist Danfoss auch an einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Spin-off interessiert: «Wir sehen grosses Potenzial in der Zusammenarbeit mit Viboo und denken, dass solche Lösungen die Zukunft sind – nicht nur bei der Regelung eines einzelnen Gebäudes, sondern für ganze Energiesysteme», meint Andreas Cannarozzo, Geschäftsführer der Danfoss AG.
Weitere Tests geplant
Vor einem Markteintritt möchte Viboo während der nächsten Heizperiode weitere Tests durchführen. So sollen zusätzliche Daten gesammelt werden. Ausserdem soll sich die Lösung auch in anderen Umgebungen beweisen. Danfoss wird beim Testen weiterhin mit Viboo zusammenarbeiten. Für den nächsten Winter konnte das Spin-off jedoch noch zusätzliche Partner wie ABB und Schneider Electric an Bord holen.
Auch auf Seiten der öffentlichen Hand in der Schweiz besteht Interesse, den Algorithmus von Viboo in bereits bestehende Gebäude zu integrieren. Bei der Empa ist die Arbeit von Viboo und Danfoss noch nicht vorbei. Weitere Gebäude sollen mit der smarten Lösung ausgestattet werden. Ausserdem haben auch das Schweizer Bundesamt für Bauten und Logistik sowie die Gemeinde Männedorf ihr Interesse bekundet.
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