Kommentar 09.07.2012, 12:41 Uhr

Thunderbird: (K)ein Nachruf

Da blutet den Thunderbird-FreundInnen das Herz. Der schönste, einfachste, flexibelste, nützlichste, quelloffenste und plattformübergreifendste Mailclient soll den Todesstoss erhalten. Ein Tränenvergiessen wäre aber verfrüht.
Der Mailclient von Mozilla soll nach der Version 17.0 im kommenden November keine neuen Funktionen mehr erhalten (PCtipp berichtete). Die Community habe in letzter Zeit an der Weiterentwicklung des Projekts zu wenig Interesse gezeigt, heisst es im Blog der Mozilla-Vorsitzenden Mitchell Baker. Abgesehen davon hat sich ein grosser Teil der E-Mail-Kommunikation in den Webbrowser oder auf mobile Geräte wie Smartphones und Tablets verlagert.
Goodies ohne Ende
Mozilla Thunderbird
Die Thunderbird-Nutzergemeinde - zu der ich mich seit Thunderbirds Anfängen im Jahr 2003 zähle - hat über die letzten Jahre hinweg enorm von der Weiterentwicklung profitiert. Um nur einige der Funktionen zu nennen, die ich mit Begeisterung aufgenommen habe: Der Spamfilter, das Threading (Diskussionsfaden-ähnliche Anzeige der Nachrichten), fantastische Such- und Filterfunktionen, Entfernen bzw. Abtrennen von Anhängen, die Archivierfunktion und neuerdings das Einbinden eines Onlinespeichers zwecks Übermittlung grosser Anhänge. Als Tüpfelchen auf dem «i»: Auf die ganzen Vorzüge brauche ich auch unter Linux nicht zu verzichten. Sofern die gleiche Programmversion installiert ist, lässt sich dasselbe Thunderbird-Profil unter beiden Betriebssystemen nutzen. Der quelloffene Mailclient war traditionell schneller als Outlook, kam mit IMAP besser klar, bot immer die bessere Quelltextanzeige sowie flexiblere Einstellungen und liess sich durch nützliche Add-Ons erweitern.
Und jetzt soll's das gewesen sein? Zunächst einmal: Keine Panik! Es ist ja nicht so, dass man uns pünktlich am 20. November 2012 den Thunderbird aus der Hand reisst.
Stabilität geht vor Innovation
Der Innovationsdruck und -wille im Bereich von E-Mail-Clients lässt nach. Hand aufs Herz, welche neuen Tricks soll man einer über neun Jahre lang vorangetriebenen Anwendung noch beibringen, die sich mit dem Übertragen von Nachrichten in zwei über 25 Jahre alten Kommmunikationsprotokollen (POP3, IMAP) befasst? Mitchell Baker stellt die richtigen rhetorischen Fragen in ihrem Blog: Kann Thunderbird im aktuellen Internetzeitalter die Rolle einer führenden Innovationsquelle ausfüllen? Oder entspricht er in der heutigen Form schon dem, was die meisten seiner NutzerInnen von ihm erwarten?
Das andere Extrem kennen wir doch auch. Zu welchen Auswüchsen ein übertriebener Innovationswahn führen kann, sehe ich derzeit mit Besorgnis bei den umgekrempelten Bedienoberflächen von Windows 8 und in neuen Ubuntu-Linux-Versionen. Die Benutzerfreundlichkeit bleibt zu Gunsten eines blindlings vorwärts stürmenden «Hauptsache anders!»-Geistes komplett auf der Strecke. Genau das wird Thunderbird nicht passieren. So gesehen ist vielleicht der neue Kurs für Thunderbird der bessere: Neue Funktionen wirds keine geben, es sei denn, die Community selbst steuert den Code bei. Die Sicherheit und Zuverlässigkeit von Thunderbird soll durch Stabilitätsupdates gewährleistet bleiben. Zumindest vorerst. Und wenn die Nutzer der Anwendung treu bleiben, dürfte Thunderbird noch ein paar gute Jahre vor sich haben.



Kommentare
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Quirico
09.07.2012
Thunderbird Ich bin ganz derselben Meinung und werde Thunderbird friedlich weiter benutzen. Ausserdem habe ich mit MozBackup zum ersten Mal ein Programm gefunden, das wirklich funktioniert, wenn man es braucht. (Wenn ich nur denke, wieviel Mail ich immer wieder bei Outlook Express trotz Backup verloren habe...!) Firefox dagegen bringt immer neue Versionen heraus, obwohl ich seit Version 3.6 keine mehr dazu überreden konnte, die PDF files von PostFinance zu öffnen und darzustellen. Jetzt benutze ich Opera, und es hat auf Anhieb geklappt.

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dch36
09.07.2012
Nicht einverstanden ... ... bin ich mit der Verfasserin in der Ansicht, dass Thunderbird noch lange weiterbestehen wird. Frau Salvisberg hat völlig recht, dass uns das Programm im Nov 12 nicht aus den Händen gerissen wird. Aber wie so oft bei Programmen, welche nicht weiterentwickelt werden, sondern nur noch Maintenance-Releases gemacht werden, fehlt es denn plötzlich an den Leuten und/oder an den Mitteln diese zu vollziehen. Win8 wird Thunderbird noch schaffen - aber was ist mit Win9? Ubuntu 14.04? Debian xy? Mac-OS12? Für mich sieht der heute kommunizierte (aber schon vor über einer Woche gefällte) Entscheid so aus: Man will TB weghaben - altmodisch. Man will Thimble, Mozilla-OS und andere freakige Dinge entwickeln. Also weg mit TB. Aber da das Produkt über 20 Mio User hat kann man es kaum auf einen Schlag abschalten. Daher die heutige Ankündigung - man wird das Produkt nun ganz langsam zu Tode würgen und die Kunden vertreiben. Irgendwann werden die Portierungen auf neue OS-Versionen nicht mehr so fehlerfrei sein, die Erweiterungen-Entwicklern sind auch vor den Kopf gestossen und werden nicht nicht neue Features auf ein totes Pferd bauen ... Langer Rede kurzer Sinn: Irgendwann wird das Programm so unstabil oder nicht mehr kompatibel sein, dass wir alle auf Thunderbird verzichten werden (müssen). Und stattdessen nur noch GoogleMail nutzen ... Vielleicht kein Zufall, dass Google einer der grössten Sponsoren der Mozilla Foundation ist. Wer weiss, ob da nicht die "Don't be evil"-Boys von Google noch sanften Druck mit dem $ ausübten, um die Einstellung von Thunderbird zu beschleunigen.

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Midori
09.07.2012
Für mich sieht der heute kommunizierte (aber schon vor über einer Woche gefällte) Entscheid so aus: Man will TB weghaben - altmodisch. Man will Thimble, Mozilla-OS und andere freakige Dinge entwickeln. Also weg mit TB. Das war auch mein erster Gedanke (nutze Outlook 2010). Mit Firefox OS gibt es sicherlich Lösungen, die für Mozilla interessanter sind. Und damit wären wir auch hier beim "Hauptsache anders!"-Geist ;)

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Kovu
09.07.2012
Leute - tickt nicht aus. Was open source ist kann und wird nicht aussterben. Selbst wenn es irgendwann keinen 'Mozilla Thunderbird' mehr gibt werden Enthusiasten darauf basierend weiter arbeiten.

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foureyes
14.09.2012
... Langer Rede kurzer Sinn: Irgendwann wird das Programm so unstabil oder nicht mehr kompatibel sein, dass wir alle auf Thunderbird verzichten werden (müssen). Und stattdessen nur noch GoogleMail nutzen ... Vielleicht kein Zufall, dass Google einer der grössten Sponsoren der Mozilla Foundation ist. Wer weiss, ob da nicht die "Don't be evil"-Boys von Google noch sanften Druck mit dem $ ausübten, um die Einstellung von Thunderbird zu beschleunigen. Da bin ich der gleichen Mei9nung! Ich bin seit langem ein strikter Gegner aller marktbeherrschenden auf Gewinn orientierten Lösungen wie z.B. Microsoft, Google und Facebook um nur ein paar zu nennen. Man soll sich wehren gegen eine Marktdominanz und den lieben TB so lange und weit wie möglich benutzen. Eventuell gibt es in der Open Source Community mal einen Fork der den alten geliebten TB weiter entwickelt wie es damals bei openOffice.org war (LibreOffice). Ich hoffe auf die Community!