Swiss zählt Passagiere mit Kameras 31.10.2023, 11:13 Uhr

[Update] Kommentar: Haben wir bald chinesische Verhältnisse?

Die Swiss möchte den manuellen Zählvorgang der Passagiere durch eine automatisierte digitale Passagier-Zählung mit KI abzulösen. Wo soll das hinführen? Ein Kommentar.
Symbolbild
(Quelle: StockSnap/Pixabay)
Es begann mit Biometrie. Beispielsweise der Frankfurter Flughafen setzt immer stärker auf Gesichtserkennung. Passagiere der Lufthansa und von den Airlines der Star Alliance (zu der auch die Swiss gehört) können diese Technik in Frankfurt seit 2020 nutzen. PCtipp hat dies bereits ausprobiert, und zwar beim Boarding in Frankfurt bei einem Swiss-Flug im August 2023. Neuerdings können in Frankfurt alle Airlines und Passagiere Check-In-Automaten mit biometrischer Identitäts- und Identifizierungsprüfung nutzen, wie die «Frankfurter Allgemeine» berichtet.
PCtipp-Redaktorin Claudia Maag
Quelle: NMGZ/PCtipp
Und jetzt werden Passagiere der Swiss beim Boarding von Kameras gefilmt – ohne dass nach ihrer Zustimmung gefragt wird. Momentan wird dabei keine Gesichtserkennung verwendet. Auf Anfrage von PCtipp sagt eine Swiss-Sprecherin dazu: «SWISS benützt keine Gesichtserkennung und diese ist für den Zählvorgang und die Einteilung in Gruppen wie Passagiere, Crew und Bodenpersonal auch nicht nötig.» Konkrete Pläne dazu lägen nicht vor.
Also alles gut? Nicht so ganz. Denn die Sprecherin schiebt auf die Frage, ob das künftig geplant ist, nach: «Je nachdem, wie sich das Einführungsprojekt entwickelt und wie robust die zu erwartenden Ergebnisse sind, könnten weitere, über den reinen Zählvorgang hinausgehende Anwendungsfelder in den Fokus rücken. Inwiefern Gesichtserkennung in der Zukunft eine Rolle spielen könnte, müsste analysiert und im Rahmen der Datenschutzregelungen gegenüber allfälligen Vorteilen abgewogen werden.»
Doch auch wenn die Swiss auf Gesichtserkennung verzichten sollte: Wir haben hier ein privates Schweizer Unternehmen, das in deutscher Hand ist, welches die Passagiere (ungefragt) filmt. Wo und wie lange werden diese Daten gespeichert? Wie sicher sind sie? Werden damit Passagierprofile erstellt? Werden die Informationen an Dritte weitergegeben oder nicht?
Ja, diese Technik hat viele Vorteile. Natürlich bedeutet es auch weniger Arbeit für die Crew-Mitglieder. Aber die Schweiz hat mehrfach gezeigt, dass man Datenschutz einfach zu wenig ernst nimmt beziehungsweise die Verantwortlichen hierzulande von Digitalisierung einfach zu wenig verstehen. Man denke dabei nur kurz an das Debakel mit dem elektronischen Impfausweis, als die Plattform der Stiftung meineimpfungen.ch vom Netz genommen und die Stiftung liquidiert werden musste. Viele der (Gesundheits-)Daten konnten nicht zurückgegeben werden und wurden schlussendlich nicht gelöscht. Oder man erinnere sich an anfängliche Sicherheitsprobleme mit E-Voting-Systemen.
Um es nochmals klar zu sagen: Momentan geht es nur um eine Passagierzählung. Das an sich finde ich noch nicht so problematisch. Mir geht es darum, dass viele Menschen abstumpfen und sich daran gewöhnen. Nur weil etwas Status quo ist, heisst es noch lange nicht, dass man das kommentarlos hinnehmen muss und sich nicht wehren darf.
Denn: Wo soll das hinführen? Nächstes Jahr kommt vielleicht dann doch die Gesichtserkennung. Wollten wir in (naher) Zukunft Verhältnisse wie in China, wo man gefühlt alle 15 Sekunden auf der Autobahn oder an einem Bahnhof etc. gefilmt wird – und die Behörden die Bürger dadurch lückenlos verfolgen können?
An unsere Leserinnen und Leser: Was denken Sie über diese KI-Passagiererkennung und wohin dies noch führt? Teilen Sie es uns in den Kommentaren mit.
Zuletzt aktualisiert am 31.10.2023 um 11:09 Uhr.



Kommentare
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Nuclear Submarine
30.10.2023
Liebe Frau Maag! Ich stimme Ihnen voll und ganz zu. Bei der SBB gab es einen Aufschrei der Entrüstung, als sie Ähnliches einführen wollte. Das elektronische Patientendossier ist eine Totgeburt, aber die Swiss darf flächendeckend geltendes Datenschutzrecht brechen? Das Fotografieren und speichern der Daten ist ohne explizite Zustimmung der Betroffenen nicht zulässig. Irgendwas stimmt hier nicht. Ich hoffe einfach, dass der EDÖB einschreitet und zwar möglichst schnell! https://www.edoeb.admin.ch/edoeb/de/home.html

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Nuclear Submarine
30.10.2023
Ich habe auf dem offiziellen Weg eine Meldung/Klage wegen einer gravierenden Datschutzverletzung an den EDÖB eingereicht. Mal schauen, was jetzt darauf passiert. Betrifft potentiell ja nur mehrere Millionen Menschen.

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Klaus Zellweger
30.10.2023
@Nuclear Submarine Darf ich fragen, worauf diese Meldung/Klage fusst? Da werden beim Einsteigen Leute gezählt … nichts weiter. Quasi ein “digitales Drehkreuz”. Selbst wenn du ein direkt Betroffener wärst (was ich jetzt nicht annehme): Inwiefern wurde da der Datenschutz verletzt?

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MarcelW
30.10.2023
Bei den SBB war es mehr als eine Zählung: Alters-, Geschlechtserkennung, Aufenthaltsdauer, Nachverfolgen des Weges und der Einkaufstätigkeiten, … Auch wenn ich das Vorgehen der Swiss nicht gut finde und es eine "slippery slope" ist: Das ist doch (zumindest aktuell) ein signifikanter Unterschied.

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Nuclear Submarine
30.10.2023
Wie kommst Du darauf, dass ich nicht betroffen bin? Ich bin betroffen, müsste es aber nicht mal sein, um Beschwerde einzureichen. Bei solchen Vorgängen besteht zudem m.E. ein öffentliches Interesse.

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Gaby Salvisberg
30.10.2023
Ich gehe (bin seit vielen Jahren Nichtfliegerin) davon aus, dass die Airlines von sämtlichen Passagieren sowieso schon einiges an Daten haben: Insofern hätten sie auch durch eine Kamera, die nicht nur zählt, sondern auch knipst, eigentlich nicht mehr Daten, als sie sowieso schon haben. Mir würde es eher Kopfzerbrechen machen, was danach kommt. Heute ist es nur eine Zählung. Morgen vielleicht nur ein Foto. Aber übermorgen könnten Sensoren und KI-Tools zum Einsatz kommen, die Gesichtsausdrücke, Temperatur, Puls usw. messen (auf die kurze Distanz könnte das evtl. funktionieren). Und da kommen wir schon eher in Bereiche, die ich für ungut halte.

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Klaus Zellweger
30.10.2023
Wir waren diesen Frühling in den USA. Den Flug haben wir über die Swiss-Website gebucht. • Auf der Swiss-Website wollten sie schlicht alles wissen: Passnummer, Nationalität, Alter, Kreditkarten … das Übliche halt. • Beim Online-Checkin vor Abflug musste das alles bestätigt werden. • Bei der Gepäckaufgabe am Flughafen wurden die Pässe erneut kontrolliert. Natürlich wird der Flughafen von Kameras überwacht; alles andere wäre verantwortungslos. • Vor dem Betreten des Gates wurden unsere Board-Karten gescannt, damit die Schleuse überhaupt aufgeht. • Bei der Security wurden wir anschliessend mitsamt Handgepäck durchleuchtet. • Am Gate wurden wir von amerikanischen Sicherheitspersonal noch einmal überprüft. • Beim Einsteigen mussten wir erneut die Board-Karte zeigen. • Bei der Ankunft in Miami wurden wir fotografiert und mussten die Fingerabdrücke hinterlegen. Die Pässe wurden gescannt. • Auf der Rückreise fast das ganze Prozedere erneut – und bei der Ankunft in der Schweiz (!) wurden wir einem Gesichtsscan unterzogen. Aber … DU MEINE GÜTE! Die Swiss zählt die Passagiere beim Einsteigen mit der Kamera durch?! Dem muss Einhalt geboten werden! Ich will nicht, dass Swiss weiss, dass ich mitfliege – oder bereits an Bord bin!

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Claudia Maag
31.10.2023
Ich habe auf dem offiziellen Weg eine Meldung/Klage wegen einer gravierenden Datschutzverletzung an den EDÖB eingereicht. Mal schauen, was jetzt darauf passiert. Betrifft potentiell ja nur mehrere Millionen Menschen. Hallo Nuclear Submarine, ich habe mal bei Rechtsanwalt Martin Steiger nachgefragt. Seiner Einschätzung zufolge hat man ein Problem, wenn man fliegen möchte. Er schreibt: «(...)Aber ich sehe nach schweizerischem Recht keine Möglichkeit, wie ein Passagier eine Fluggesellschaft wie die SWISS zwingen könnte, dass sie ihn nicht filmt, um Passagiere auf diese Art zählen zu können.» Auch beim EDÖB habe ich mal nachgehakt, warte aber noch auf eine Antwort. Wichtig: Momentan nutzt die Swiss übrigens noch keine Gesichtserkennung, wie sie mir auf Anfrage versicherte. Derzeit gibt es keine konkreten Pläne. Aber wirklich ausgeschlossen für die Zukunft wurde es nicht.

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spock
31.10.2023
Passagiere zählen ist das eine. Wirklich "creapy" finde ich, was sich bei Migros Ostschweiz abspielt: Werbetafeln, die Passanten filmen, auswerten und entsprechende Werbung ausspielen. Artikel im Tagesanzeiger.

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apron
31.10.2023
Die Datensammelwut der Airlines bei USA- und Kanada-Flügen hängt u.a. mit den drakonischen Strafen zusammen, die erhoben werden, wenn Passagiere ohne gültigen Einreisebescheid in diesen Ländern ankommen. Deshalb wird von den Airlines vor dem Abflug alles haargenau geprüft (Pass, Visum, ESTA usw.). In den USA wird übrigens bereits "biometric boarding" angewendet. D.h. der Passagier muss seine Boardkarte nicht mehr zeigen. Er steht einfach vor einen Monitor und wird dann nach entsprechender Prüfung auf das Flugzeug gelassen oder nicht. So erlebt in San Francisco diesen Sommer - mit Swiss. Jeder muss für sich selber eine Güterabwägung treffen und im schlimmsten Fall UHU-Ferien ("ums Huus ume") machen. Aber Halt! Da filmt vielleicht der Nachbar verbotenerweise mit seiner Überwachungskamera. ;-)