Kommentar
26.09.2012, 12:48 Uhr
Geburtswehen einer Karten-App
Egal, wie man es dreht und wendet: Apple musste sich von Googles Kartendiensten lösen. Ein Kommentar von PCtipp-Redaktor Klaus Zellweger.
Navigation und GPS gehören zu den Schlüsselfunktionen eines Smartphones. Umso erstaunlicher wirkt es, wenn diese Funktionen Hals über Kopf ausgetauscht werden. So geschehen mit der Veröffentlichung von iOS 6 und der neu vorgestellten Karten-App. Doch warum setzt sich ein Weltkonzern wie Apple so elegant in die Nesseln?
Mögliche Gründe gibt es viele, aber der wichtigste ist schnell gefunden: Apple kann nicht länger zusehen, wie eben diese Schlüsseltechnologien ausgerechnet von Google kontrolliert werden – also jener Firma, die mit der Veröffentlichung von Android zum erbitterten Gegner wurde.
Denn heute müssen selbst Apple-Fans eingestehen, dass ihre Lieblingsfirma bei den GPS-Lösungen ins Hintertreffen geraten ist. Die alte Karten-App bietet keine Turn-by-Turn-Navigation, die als wichtiges Kaufargument für jedes Smartphone gilt. Es fehlten POIs, eine Reiseplanung und weitere Annehmlichkeiten, die man von Google Maps und klassischen Navigationsgeräten her kennt – und auf die man nur ungern verzichtet.
Durch die Abkehr von Google Maps steht Apple vor der überfälligen Aufgabe, endlich eigene GPS-Dienste aufzubauen. Ein so grosses Unterfangen kann jedoch nicht ohne Geburtswehen über die Bühne gehen. Laut Business Insiders arbeiten bei Google etwa 1100 Festangestellte an den Karten, dazu gesellen sich ca. 6000 freischaffende Mitarbeiter. Eine Armada, sicher. Aber das sollte uns Konsumenten nicht interessieren. Vielmehr lautet die Frage: Wie schlimm steht es wirklich?
Der Sturm im Wasserglas
Ganz sicher ist die Lage nicht annähernd so dramatisch, wie es gerne dargestellt wird. Spott und Häme der letzten Tage zielen vornehmlich auf die missglückten Luftaufnahmen. Erst danach werden falsche Strassennamen kritisiert oder Wege, die ins Nirgendwo führen. Unterdessen spekuliert Apple darauf, dass die Anwender bei den Korrekturen behilflich sind – entweder, indem sie Fehler direkt melden, oder indem sie die App einfach nutzen und so automatisch einen Datenpool generieren, der sich auswerten lässt. Auf dieselbe Weise optimieren auch Google und andere Firmen ihre Dienste.
Zerstört Apples Bauchklatscher wenigstens den Nimbus der Unfehlbarkeit? Weit gefehlt; diese Ehre wurde bereits MobileMe zuteil, dem Vorgänger des jetzigen iCloud-Dienstes. 2008 verlief dessen Start so holprig, dass Steve Jobs sämtliche Beteiligten versammeln liess und ihnen eine Standpauke hielt, die sich gewaschen hatte. Mehr noch: Er beschuldigte jeden der Anwesenden, Apples guten Ruf beschmutzen zu wollen.
Dieses Ereignis sollten sich all jene in Erinnerung rufen, die glauben, dass seit dem Tod von Steve Jobs die Qualität stetig nachlässt. Bereits zu seinen Lebzeiten gehörten Bauchlandungen mit zum Geschäft. Heute offeriert Apple mit iCloud jedoch einen kostenlosen Onlinedienst, von dem die Konkurrenz nur träumen kann. Einzig Google kann noch mithalten, bietet aber keinen vergleichbaren Komfort. MobileMe ist längst über sich hinausgewachsen, während der schlechte Start aus den Köpfen der Anwender längst verschwunden ist.
Der Blick in die Kristallkugel
Apple bevorzugt offenbar das Ende mit Schrecken und macht sich an die Hausaufgaben. Wir Anwender hätten uns natürlich einen sanften Übergang gewünscht. Doch in zwei Wochen wird das Thema «Apple & die Karten» keine Meldung mehr wert sein. In einem Jahr werden die Karten soweit korrigiert sein, dass sie ein konventionelles Navigationssystem problemlos ersetzen. Und in spätestens zwei Jahren wird niemand mehr die Google-Maps-Dienste auf den iOS-Geräten vermissen. In der Zwischenzeit füllen zahlreiche Navigations-Apps aus dem App Store diese Lücke. Selten war ein Skandal so erschreckend unspektakulär.
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