Kommentar 12.09.2003, 12:00 Uhr

Das Freitagsbit: Datenbankitis

Die WWKolumne
Die Zürcher Verkehrsbetriebe und die SBB sehen Rot, weil ihren armen "Kundenberatern" im Aussendienst regelmässig Schwarz vor Augen wird. Daran ist nicht etwa niedriger Blutdruck Schuld; die Ursache der Symptome liegt noch im Dunkeln. Schwarzfahrer jedenfalls bringen die Bahnen an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Dass die Erwischten-Tarife von 60 auf 80 Franken angehoben werden sollen und "Wiederholungstäter" noch tiefer in die Tasche greifen, ist eine Sache. Dass nun aber Datenbanken angelegt werden sollen und eine systematische Kriminalisierung erfolgt, eine andere.
Denn so mancher "Schwarzfahrer" ist mehr ein Graufahrer. Die Ticketautomaten der VBZ in der Stadt Zürich etwa sind so antik, dass sie nur Münz akzeptieren. Wenn überhaupt. Im Zeitalter von EC- und Postcard steckt jeweils nur wenig Bargeld in meiner Tasche. Und das Münz - es ist jedes Mal schnell wieder ausgegeben. Soll ich denn nun des Nachts um 12 den Alkis auf dem Schwamendingerplatz ein fröhliches "Häsch mer en Stutz" zurufen? Da fahre ich doch lieber ohne Ticket und lasse mich erwischen. Die Einnahmen aus dem Schwarzmarkt-Geschäft sind offensichtlich derart lohnend, dass sich die VBZ mehr Kontrolleure leisten und sie mit schicken Taschen-Computern ausrüsten kann. Modernere Ticketautomaten seien frühestens ab 2005 geplant, heisst es bei den VBZ.
Anstatt teure Datenbanken einzurichten, täten die Bahnen besser daran, jedem Fahrgast in jeder Situation den Bezug eines Tickets zu ermöglichen. Etwa mit modernen Ticketautomaten in den Trams, Zügen und Bussen. Dann gäbs keine Ausreden mehr. Wehret den Datenbanken! Jede neue Datenbank ist eine zuviel. Die Kriminalisierung von münzlosen Zeitgenossen, den Graufahrern, wäre vergleichbar mit jener der Filesharer, von denen viele legale Angebote nutzen möchten, aber bisher gar keine realistischen Angebote zur Verfügung hatten. Wären alle Sauger Diebe, würden Apple und seit kurzem auch Directmedia.ch wohl kaum einen derart grossen Erfolg verzeichnen
Drum sei es deutlich gesagt: Firmen, die sich mit neuen Datenbanken als Gehilfen der Justiz betätigen, verdecken bloss ihre Schwächen; ihnen mangelt es an Fantasie. Im Falle der Bahnen liegt die Lösung auf der Hand: Weg mit den Datenbanken, her mit den Lochzangen. Kondukteure wie früher! Das Personal ist ja offenbar vorhanden... und einen Ticketcomputer haben die "Kundenberater" schon. Es wird aber wohl ein Traum bleiben: Die Diagnose lautet nämlich Datenbankitis. Und die ist unheilbar.



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