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14.11.2018, 08:47 Uhr
Ohne Chauffeur ans Ziel
Experten der Hochschule Luzern haben untersucht, wie selbstfahrende Fahrzeuge den Verkehr im ländlichen Raum verändern könnten. Sie werfen einen Blick in eine unbekannte Zukunft.
Die Metro 2 in Lausanne fährt seit zehn Jahren ohne Chauffeur. In anderen Städten, etwa in Schaffhausen, Sion oder Fribourg werden selbstfahrende Busse getestet. Aber wie werden diese zukünftig eingesetzt? Holen sie ihre Fahrgäste vor der Haustür ab? Gibt es noch Bahnen oder fahren nur noch selbstfahrende Busse? Roger Sonderegger, Dozent im Bereich Mobilität an der Hochschule Luzern, hat mit seinem Team neue Geschäftsmodelle mit selbstfahrenden Fahrzeugen im ÖV untersucht. Und zwar für den ländlichen Raum, der bisher weniger erforscht wird als die Stadtregionen, der aber Veränderungen nötiger hat, weil viele Überlandlinien defizitär sind und entsprechend stark subventioniert werden.
Im Auftrag des Forschungsfonds der SBB hat Sondereggers Team mit dem Schweizer Forschungs- und Beratungsunternehmen INFRAS und dem deutschen Beratungsunternehmen KCW verschiedene Varianten für den ländlichen Raum berechnet. Um mit konkreten Zahlen in einem bestimmten Gebiet arbeiten zu können, wurde das Tösstal ausgewählt. Es steht stellvertretend für viele Gebiete in der Schweiz.
Selbstfahrende Fahrzeuge, so ein Fazit der Untersuchung, wären günstiger als heutige Systeme, weil im ÖV die Personalkosten den grössten Teil ausmachen. Würden alle heutigen Bahnen und Busse im Tösstal automatisiert betrieben, würde der Kostendeckungsgrad bereits um 50 Prozent steigen. Noch günstiger wäre eine vollständige Umstellung auf selbstfahrende Busse. Sie könnten auch öfter halten und würden damit mehr Passagiere, ohne dass diese umsteigen müssten, an ihr Ziel bringen; das könnte wiederum die Nachfrage steigern.
Ohne Bahn gibt es Stau
Würden die Bahnen abgeschafft und mit achtsitzigen selbstfahrenden Minivans ersetzt, gäbe es allerdings bei der Zufahrt in die grösseren Städte riesige Probleme. Sonderegger spricht von «Stau ohne Ende». Alleine an den heutigen Bahnhöfen bräuchte man Platz für hunderte Kleinbusse. Deshalb bevorzugen die Forscherinnen und Forscher eine Variante, in der die S-Bahn automatisiert betrieben wird. Sie ist zwar teuer in Betrieb und Unterhalt, aber kein Verkehrsmittel kann so viele Fahrgäste befördern wie die Bahn.
An den heutigen Bahnstationen könnten Minivans warten, um die Passagiere weiterzutransportieren, direkt bis vor die Haustür. Die Zahl dieser Minivans würde sich entlang der S-Bahn-Strecke verteilen und überschaubar sein, weil ein Grossteil der Passagiere in einem Umkreis von 750 Metern zum Bahnhof wohnt und zu Fuss gehen könnte, wie die Forscher herausgefunden haben. In dieser Variante kämen die Vorteile des öffentlichen Verkehrs voll zum Tragen: sein vergleichsweise geringer Platzbedarf, seine Effizienz und sein geringer Energieverbrauch.
Sie hätte auch den Vorteil, dass der ländliche Raum nicht weiter zersiedelt würde. Eine Gefahr, die mit selbstfahrenden Privatfahrzeugen steigt. Auch Personen mit eingeschränkter Mobilität oder ohne Führerschein könnten solche Fahrzeuge nutzen. Und jeder «Automobilist» könnte, da er nicht mehr auf den Verkehr achten muss, anderes erledigen. Es wäre also attraktiver als heute, weite Distanzen mit dem Auto zurückzulegen.
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Volatile Betriebskosten und technische Unbekannte
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Die Ergebnisse der Studie müssen allerdings mit Vorsicht gelesen werden. Sonderegger selbst bezeichnet sie als «Raumschiff Enterprise» und zitiert Chris Urmson, den ehemaligen Chef des Google-Car-Projekts, der sagte, die Technik für das Fahren im gemischten Verkehr sei «100 Mal schwieriger als auf der Autobahn». Bis das mal Realität wird, dauere es sicherlich noch 20 Jahre. Die Forscher arbeiten mit diversen Annahmen. Bereits um 25 Prozent höhere Betriebskosten führen dazu, dass keine Variante mehr kostendeckend sei.
«Eine solche Steigerung ist nicht unrealistisch», sagt Sonderegger. Man wisse schlicht nicht genau, welcher Aufwand für Unterhalt, Reinigung, Parkplätze sowie Ladestationen der Minivans eingeplant werden müsse. Zudem gebe es immer noch grosse technische und rechtliche Unbekannte, die die Varianten stark beeinflussen könnten. Wer würde die Busse betreiben? Wie grenzen sie sich von Taxis und von selbstfahrenden Privatfahrzeugen ab, die ebenfalls per Sharing geteilt werden könnten? Und wie werden die Fahrgäste darauf reagieren, wenn kein Chauffeur mehr an Bord ist?
Wünsche der Fahrgäste
Mehrfach warnen die Forscherinnen und Forscher in ihrer Studie vor der «herrschenden Technikeuphorie» und davor, ohne Not die Vorteile des heutigen Zustands aufzugeben, wie es etwa in den 1960er-Jahren geschah. Damals haben viele Städte und Gemeinden die Tramlinien abgebaut – ein Schritt, den sie heute bitter bereuen. «Neben der technischen Machbarkeit müssen wir auch dringend diskutieren, welche Entwicklungen die Fahrgäste wollen und wie unser Leben in den Städten und auf dem Land in Zukunft aussehen soll», sagt Sonderegger. «Die technische Machbarkeit darf nicht der alleinige Treiber sein.»
Hinweis: Dieser Artikel wurde von Valeria Heintges verfasst und ist ursprünglich im «Magazin» der Hochschule Luzern erschienen.
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