News 12.11.2012, 09:23 Uhr

«Eltern, schickt eure Kinder in die IT-Lehre!»

Am Freitag tagte die 2. nationale ICT-Berufsentwicklungskonferenz in Bern. In der Eröffnungsrede zeichnete Andreas Kaelin, Präsident ICT-Berufsbildung Schweiz, ein differenziertes Bild der IT-Angestellten.
Die Schweizer IT-Branche hat ein Nachwuchsproblem. Und auch ein Strukturproblem bei den Beschäftigten. Das zeigte Andreas Kaelin, Präsident ICT-Berufsbildung Schweiz, an seiner Eröffnungsrede an der gut besuchten Nationalen ICT-Berufsentwicklungskonferenz in Bern auf.
Doch es gibt auch Gutes aus der Branche zu berichten. So rangiert der ICT-Sektor bei der landesweiten Wertschöpfung im Jahr 2010 auf Rang 3 mit rund 28,2 Milliarden Franken (4,9 Prozent an der Gesamtwertschöpfung). Nur die Bauindustrie und der Finanzsektor überflügeln die ICT-Branche. Rund 177'000 Personen sind in der ICT-Branche beschäftigt, das sind rund 50 Prozent mehr als vor 20 Jahren und stolze 17 Prozent mehr als zu Zeiten des Dotcom-Booms. Auch bei den Löhnen haben die ICT-Beschäftigten überdurchschnittlich profitiert: Mit ihrem Verdienst stehen IT-Professionals im Schnitt an vierter Stelle, beinahe gleichauf mit der Telekomindustrie und nur noch von Pharma- und Bankenlöhnen überflügelt. Zwischen 1998 und 2010 sind die IT-Löhne um 22 Prozent gestiegen.
Nur 40 Prozent mit IT-Ausbildung
Doch es gibt auch Schattenseiten. So seien nur rund 40 Prozent der rund 177'000 Beschäftigten auch tatsächlich fundiert ausgebildet. Der Rest der Arbeitnehmer sei irgendwie in die Branche hineingerutscht und bringe eigentlich nicht die fachlich-formalen Voraussetzungen mit, die in der heutigen Zeit gefordert werden, moniert Kaelin. Auch gibt es zu wenig Software-Ingenieure, also Personen, die nicht nur umsetzen, sondern auch mit viel Grips an Problemstellungen herangehen. Dies illustrierte Kaelin auch mit Zahlen aus der Ausbildung: Nur 240 Master-Abgänge in Informatik konnten die Schweizer Universitäten im Jahr 2011 verzeichnen. Der Appell an die anwesenden Konferenzteilnehmer, die sich aus Vertretern von Arbeitgebern, Kantonen (Lehrern) und vom Bund zusammensetzten, war denn auch: «Schickt eure Kinder in eine IT-Ausbildung. Nicht ins KV, das ist passé.»
Bund will unterstützen, nicht regulieren
An der Konferenz sprach auch der designierte Staatssekretär für Bildung, Forschung und Innovation, Mauro Dell'Ambrogio. Er skizzierte die Aufgaben des neuen Staatssekretariats, das im Januar 2013 offiziell seinen Betrieb aufnimmt. Für ihn ist klar: Die Schweiz hat das wohl beste Berufsbildungssystem der Welt und das darf nicht auf dem Altar der fortschreitenden Akademisierung geopfert werden. Er habe mit vielen Bildungsministern in verschiedenen Ländern Kontakt - die meisten seien beeindruckt vom dualen System der Schweiz, wollen es auch kopieren, aber scheitern oft am fehlenden Commitment in der Industrie.
Für ihn ist wichtig, dass Berufsbildung und Hochschulbildung nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es braucht ganz klar beides, aber er liess durchblicken, dass er sich eher mehr Berufsmaturanden wünscht. Von seinen sieben Kindern hätten fünf eine Lehre gemacht, und die zwei, die jetzt am meisten verdienen, sind nicht die Uni-Abgänger. Für Dell'Ambrogio ist die Unterstützung des Bundes für die Berufsbildung eine wichtige Angelegenheit, und er will den Kantonen und den Lehrbetrieben nicht zusätzliche verwaltungstechnische Stolpersteine in den Weg legen.
ICT-Berufsbildung lanciert Swiss ICT Academy
Am Anschluss an das Referat von Staatssekretär Dell'Ambrogio verkündete Jörg Aebischer, Geschäftsführer ICT-Berufsbildung Schweiz, die Lancierung der Swiss ICT Academy im August 2013. Diesen Ausbildungslehrgang soll es jungen Quereinsteigern ermöglichen, in den Fachrichtungen Entwicklung, Netzwerk und Mediamatik eine Ausbildung zu durchlaufen, die rund 50 Prozent des Stoffes der Informatikerlehre abdeckt.

Autor(in) Marcel Hauri



Kommentare
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gucky62
13.11.2012
Leider scheint auch hier mal wieder vergessen zu werden, dass IT ein Mittel zum Zweck ist und nicht dre Zweck an sich. Dies ist meiner Meinung nach ein Hauptproblem, welches die meisten IT Entscheidungsträger haben. Gerade die Kombination von anderen Ausbildungen mit einer IT Ausbildung/Weiterbildung bringt in der Realität einen wesentlich grösseren Nutzen als die "reinen" IT Fachkräfte. Diesen fehlt meinen Erfahrungen nach oft der Sinn für die Realität und der Fokus auf das Business, welches durch die IT unterstützen werden soll. Daher sind erfahrungsgemäss die genannten "Quereinsteiger", je nach Anforderungen, wesentlich besser geeignet als nur in IT ausgebildete Personen. Im Artikel wird der Eindruck vermittelt, dass diese "Quereinsteiger" schlechter ausgebildet seien. Das kann sein, ist aber dann eine Sache der Weiterbildung, aber oft haben diese Leute einen westlich grösseren Horizont und ihre IT Ausbildung/Weiterbildung muss nicht mangelhaft sein udn ist sogar oft sehr praxisorientiert und vielseitig. Wenn ich tagtäglich sehen was die reinen IT-Theoretiker in den Firmen alles verbocken muss man sich nicht wirklich fragen wo unter anderem die Probleme liegen können. Nochmals: IT ist ein Mittel zum Zweck (Service) und nicht bestimmend für das Business. Das Business definiert was es braucht und nicht die IT sagt dem Business was es zu brauchen hat. Wobei Standards eine gewissen Rahmen setzen müssen. Dies haben diese Organisationen leider immer noch nicht begriffen. Der Service-Fokus ist oft eher unterentwickelt. Gruss Daniel