Schweizer Persönlichkeit
05.01.2024, 07:08 Uhr
Der Computerpionier Niklaus Wirth ist gestorben
Der Computerpionier Niklaus Wirth ist am 1. Januar 2024 fast 90-jährig verstorben. Der langjährige ETH-Professor für Informatik wurde durch die Entwicklung der Programmiersprache Pascal ab 1970 weltberühmt.
Niklaus Wirth 1984, als er den renommierten Turing-Award gewann. Links von ihm steht «Lilith», eine der ersten Computer-Workstations mit grafischem Bildschirm und Maus sowie Vorläuferin der heutigen Personal Computer.
(Quelle: Niklaus Wirth)
1984 erhielt er als bisher einziger deutschsprachiger Informatiker den Turing Award, der als Nobelpreis für Informatik gilt.Er war Turing-Award-Gewinner, Computerpionier und Erfinder einflussreicher Programmiersprachen: Niklaus Wirths Errungenschaften und Leistungen für die Informatik reichen weit. Am bekanntesten ist wohl die von ihm entwickelte Programmiersprache Pascal. Seine Wirkung beschränkt sich jedoch nicht auf Pascal. Mit seiner Arbeit und Leidenschaft leistete Niklaus Wirth grundlegende Beiträge zur Entwicklung der Informatik weltweit. Bis heute haben seine Errungenschaften die Computerwissenschaft und Generationen von Programmier:innen entscheidend mitgeprägt. Laut seiner Familie ist Niklaus Wirth am 1. Januar 2024 nun friedlich entschlafen.
Eine zentrale Rolle spielte Niklaus Wirth dabei, die Informatik in der Schweiz zu etablieren. Er schaffte es, Informatik-Innovationen aus den USA, dem damals in der Computerentwicklung führenden Land, in die Schweiz zu bringen und der Informatik hierzulande als eigenes Forschungsgebiet und Berufsfeld zum Durchbruch zu verhelfen, wie ETH-Präsident Joël Mesot in Erinnerung ruft: «Mit Niklaus Wirth verliert die ETH Zürich einen ihrer ganz Grossen, der nicht nur Pionierarbeit geleistet hat in der Entwicklung von Programmiersprachen, sondern auch zu den Gründungsvätern der Informatik in der Schweiz und an der ETH gehört.» Niklaus Wirth war von 1968 bis 1999 Professor an der ETH Zürich. Es ist seiner und der Hartnäckigkeit seiner Weggefährten zu verdanken, dass die ETH 1981 eine eigenständige Abteilung Informatik und den dazu gehörigen Studiengang erhielt.
Frühe Leidenschaft für Technik
Am 15. Februar 1934 in Winterthur geboren, zeigte sich Niklaus Wirths Begeisterung für Technik schon in der Kindheit, in der er sich intensiv mit Flugzeugbau auseinandersetzte und erste Radiogeräte und Verstärker baute. Seine Leidenschaft führte ihn als Student an die ETH Zürich. Er absolvierte ein Studium in Elektrotechnik, das er mit dem Diplom als Elektroingenieur abschloss. Seinen Master-Abschluss machte Wirth 1960 an der Universität Laval in Kanada. Erstmals in Kontakt mit Computern, Programmiersprachen und Compilern kam er an der University of California in Berkeley. Dort erfolgte sein Einstieg in den Software-Bereich und 1963 promovierte er in Berkeley bei Harry Huskey über die Verallgemeinerung der Programmiersprache Algol 60.
Nach Assistenzprofessuren an der Stanford University und an der Universität Zürich kehrte er 1968 als Professor für Computerwissenschaften an die ETH Zürich zurück, wo er bis 1999 als Professor für Informatik lehrte und forschte. In den Jahren 1976 bis 1977 sowie 1984 bis 1985 folgten Studienaufenthalte im Palo Alto Research Center (PARC) von Xerox.
Während 31 Jahren entwickelte Niklaus Wirth an der ETH Zürich neue Programmiersprachen wie Euler, PL360, Algol W, Pascal, Modula, Modula 2, Oberon und LoLa. Zudem baute er die ersten Personal Computer (PC) der Schweiz und bildete eine erste Generation von Schweizer Informatiker:innen aus. Nicht zuletzt schrieb er mehrere weltweit übersetzte Standardwerke. Er erhielt zahlreiche Ehrungen, unter ihnen den renommierten ACM Turing Award, den er im Jahr 1984 als erster und bisher einziger deutschsprachiger Informatiker gewann. 1988 erhielt er den IEEE Computer Pioneer Award. Nach ihm benannt ist das Wirthsche Gesetz, nach dem sich die Software schneller verlangsamt als sich die Hardware beschleunigt.
Pascal – und die Suche nach der mächtigen und einfachen Sprache
1984 war für Niklaus Wirth, für die Informatik und die Verbreitung des Personal Computers ein besonderes Jahr: Apple führte den Macintosh PC ein, IBM stellte seinen IBM Personal Computer/AT vor und Niklaus Wirth gewann den Turing Award — den höchsten Preis in der Informatik, vergleichbar mit einem Nobelpreis in den Naturwissenschaften oder der Fields-Medaille in der Mathematik. Den Preis erhielt Wirth für die Entwicklung mehrerer Programmiersprachen, darunter Euler, Algol W, Modula und besonders Pascal.
Das berühmteste Werk Niklaus Wirths ist die Programmiersprache Pascal. Ihr Hauptvorteil ist ihre Einfachheit und Eleganz. Pascal basiert auf den klaren Prinzipien der strukturellen Programmierung, die der Informatiker Edsger W. Dijkstra formulierte, sowie auf einer mathematischen Basis, die der Informatiker Tony Hoare festgelegt hatte, und auf der architektonischen Umsetzung der Algol-W-Ideen durch Niklaus Wirth. Diese effiziente Sprache verknüpfte gute Programmierpraktiken mit strukturierter Programmierung und Datenstrukturierung. Deshalb wurde sie schnell zu einer beliebten Unterrichtssprache. Mehrere Generationen von Studierenden an Universitäten auf der ganzen Welt – auch an der ETH Zürich – machten ihre ersten Programmiererfahrungen mit Pascal.
Niklaus Wirth war nie einer, der sich auf seinen Lorbeeren ausruhte — im Gegenteil. Pascal mag seine bekannteste Leistung sein, doch sein Werk geht viel weiter: von der Nachfolge-Sprache Modula-2, über das Oberon-System bis zur Workstation «Lilith», einer Vorläuferin der späteren Personal Computer. Seine Programmiersprachen weiterzuentwickeln und zu verbessern, war ein Lebensprojekt von Wirth. Was mit Euler startete, endete schliesslich mit Oberon, einer Sprache mit dem Objektorientierungskonzept und Typhierarchie, die möglichst mächtig und gleichzeitig möglichst simpel sein sollte. Niklaus Wirth wollte etwas für die Allgemeinheit erfinden, ganz im Sinne des Prinzips: sparsam und verständlich.
Oberon blieb nicht nur eine Sprache. Daraus entstand ein ganzes System und am Ende erschien passend dazu das Buch «Project Oberon», in dem auf rund 500 Seiten Software, Sprache und Hardware beschrieben sind — der ganze Stolz seiner Arbeit: «Ich verfolgte lebenslang das Ziel, eine möglichst mächtige, aber möglichst einfache Sprache zu entwickeln. Oberon ist das letzte Glied in dieser Entwicklungskette», sagte Niklaus Wirth.
Lilith – und das Engagement für die Informatik in der Schweiz
Heute nimmt die Schweiz eine weltweit wichtige Rolle in der Informatik ein und leistet viele grundlegende Beiträge zu den Grundlagen und deren Anwendung. Bis in die 1970er-Jahre sah das anders aus: Während in den USA bereits die ersten Workstations entwickelt wurden und Informatik als Studienrichtung verbreitet war, hinkte die Schweiz in Ausbildung und Anwendung hinterher. Ein Beispiel dafür ist Wirths Lilith, die erst Jahre später das Interesse der Industrie weckte.
Lilith war weltweit eine der ersten Computer-Workstations mit einem hochauflösenden grafischen Bildschirm und einer Maus sowie eine Vorläuferin der heute üblichen Personal Computer. Niklaus Wirth hatte sie 1980 an der ETH entwickelt als Plattform für zahlreiche Softwareprojekte in der Forschung. Ab 1982 versuchten die ETH-Forschenden, das System zu vermarkten, was jedoch misslang. Die industrielle Entwicklung der PC fand in den USA statt. Lilith hat jedoch eine ganze Generation von Informatiker:innen beeinflusst. Nach Lilith entwickelte Niklaus Wirth 1986 mit Ceres ein weiteres Computersystem mitsamt Oberon-Betriebssystem und Oberon-Programmiersprache. Ceres-Rechner dienten bis etwa 2003 zur Ausbildung der Informatikstudierenden an der ETH Zürich.
Auch der Weg, um die Informatik an der ETH und in der Schweiz zu etablieren, verlief nicht geradlinig: Zuerst musste Niklaus Wirth mit seinen Weggefährten einige Hürden überwinden. Bereits Anfangs der 70er Jahre starteten sie einen Vorstoss, um Informatik als eigene Studienrichtung einzuführen. Dieser scheiterte jedoch ebenso wie auch ein zweiter Anlauf. Als jedoch der Mangel an Informatiker:innen in der Schweiz offensichtlich wurde, führte die ETH Zürich die Informatik 1981 definitiv als Departement und als Studium ein. Dank des Engagements Niklaus Wirths und seiner Mitstreiter:innen war ein Grundstein gelegt für den Aufstieg der Informatik in der Schweiz.
Abdankungsfeier am 11. Januar 2024
Die Trauerfeier für Niklaus Wirth findet am Donnerstag, 11. Januar 2024 um 15:30 Uhr im Kulturhaus Helferei an der Kirchgasse 13 in Zürich statt.
Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst bei «ETH-News» erschienen.
Autor(in)
Florian
Meyer, ETH-News
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