Kommentar
20.03.2009, 08:44 Uhr
Alles umsonst
Die Lösung: Wenn alles gratis ist, dann gibts irgendwann keine Finanzen mehr, und dann kann es auch keine Finanzkrise mehr geben. Clever, was?
Guten Tag, mein Name ist Jones. Ich lebe im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und habe gratis ein Haus gekauft. Denn ich habe gratis und zinsfrei eine Hypothek aufgenommen. Schon früher habe ich gratis ein Handy von meinem Telekomanbieter bekommen, und zu Hause telefoniere ich seit Langem gratis über den Internetanschluss. Ich benütze ausschliesslich Gratis-Software. Auch für ein Betriebssystem zahl' ich nix. Linux ist ja gratis, aber auch Windows 7 gibts gratis, wenn ich Windows Vista kaufe, und Windows Vista gibts gratis, wenn ich einen PC kaufe, und PCs kriegt man eh fast geschenkt. Im Zug lese ich eine Gratiszeitung, und im Internet lese ich gratis Zeitung. Ausserdem lade ich mir gratis Musik und Filme herunter und schaue, was es sonst noch so gratis gibt. Und ich kann Ihnen versichern: Es gibt eine Menge Dinge gratis, sofern man bereit ist, jede Menge gratis geschalteter Gratiswerbungen für Gratisangebote über sich ergehen zu lassen.
Leider verdiene ich fast nichts, obwohl ich hart arbeite. Warum ist mir schleierhaft. In meiner Freizeit teste ich Games, blogge ein wenig bei einer Gratiszeitung, programmiere kleine nützliche Gratis-Tools und spiele Musik in einer Band. Aber für all diese Dinge kann man ja nicht ernsthaft Geld verlangen. So habe ich Schulden, obwohl alles gratis ist. Aber das macht nichts, denn auch die Schulden sind ja gratis.
Es freut mich zu hören, dass man auch in der Schweiz von unserem cleveren System lernt. Die Cablecom, so höre ich, verschickt Werbungen, wo es heisst: «Gegen die Finanzkrise: Für immer gratis telefonieren.» Das ist genau der richtige Ansatz. Kein Geld ausgeben hat noch aus jeder Wirtschaftskrise geholfen. Man muss dazu nur ein genügend komplexes System aufbauen, in dem nicht mehr ersichtlich ist, wo wer was für wen bezahlt, und schon hat man das Gefühl, dass man für gar nichts zu zahlen braucht und alles wunderbar aufgeht. Noch besser als ein verstricktes Geflecht von Pseudogratisangeboten eignet sich dafür ein abstraktes System wie die Börse. Da kann man dann auch Schulden handeln. Am besten als undurchschaubarer (H)edge-Funds-Bermudaoptionswertpapierderivatleerverkauf. Angesichts der enormen Renditen vergessen da selbst Miesepeter, dass es unter dem Strich so etwas wie «gratis» in der Wirtschaft gar nicht gibt.
Mein Name ist Jones. Dow Jones. Auch ich bin mittlerweile umsonst. Für nichts, sozusagen.
Autor(in)
David
Lee
20.03.2009
20.03.2009
20.03.2009
21.03.2009