SBB Sprachassistent
22.10.2020, 10:00 Uhr
«Hey Google, sprich mit SBB»
Die SBB lanciert im November den Markttest des «SBB Sprachassistenten». Die Entwickler gewähren einen Einblick in die Technologie des neuen digitalen Auftritts der SBB.
Der «SBB Sprachassistent» informiert künftig Konsumenten über die besten Verbindungen und Billettpreise
(Quelle: Shutterstock/Andrey_Popov)
Apples und Googles Kartendienste sind heute die weltweit meistgenutzten Navigationshilfen. Beide werden mit der Tastatur bedient – und noch eher selten über den Sprachassistenten. Die Präsenz beider Voice-Dienste auf allen gängigen Smartphones zeigt auf, wohin die Reise geht: In Zukunft wird nicht mehr getippt, sondern gleich gesprochen.
Die Schweizerischen Bundesbahnen SBB wollen hier mitreden. Deshalb lancierte Business Developer Reto Eggimann mit weiteren Kollegen aus der Abteilung Digital Business vor gut elf Monaten das Pilotprojekt «SBB Sprachassistent». Das Ziel des Business Developers war, ein «Minimum Viable Product» (MVP) bereitzustellen, das während eines Jahres im Markt getestet werden kann. Mögliche Einsatzszenarien des Kanals «Voice» bei der SBB sind:
- Kundeninformation: Abfragen von Fahrplänen, Informationen zu Billettpreisen ohne physischen Kontakt, ortsunabhängig durch Unterstützung von verschiedenen Plattformen respektive Endgeräten wie Smart Speaker, Smart Displays und Mobiltelefone, einfachere Informationsbeschaffung auch für Touristen in ihrer Muttersprache
- SBB-App auf dem Smartphone: sprach gesteuerte Bedienung zukünftig möglich
- Billettautomat: vereinfachte Bedienung von Billettautomaten per Spracheingabe für beeinträchtige Personen, kein physischer Kontakt mit dem Automaten (auch vor dem Hintergrund Covid-19)
- Callcenter: automatisches Beantworten der häufigsten Kundenanliegen durch einen Voice Bot, Informationen rund um die Uhr verfügbar, keine Wartezeiten/-schleifen, Entlastung der Mitarbeitenden von den einfachen respektive repetitiven Aufgaben
- Freizeit und Inspiration: sprachgesteuerte Suche nach Ausflügen und Freizeitangeboten («Frage SBB, was ich am Wochenende unternehmen kann.»)
Amazon, Apple oder Google
In der ersten Phase wurde der Anwendungsfall «bequemer und schneller Billettkauf» als wichtig eingestuft. Dabei war die Fahrplanauskunft als Basis essenziell. Für den Markttest lag der Fokus auf den Themen Fahrplanabfrage, Billettpreise und Reiseinformationen, also zum Beispiel Auslastung der Züge oder Verspätungen etc.
Parallel evaluierten Eggimann und seine Kollegen von der SBB die technologische Plattform für den «SBB Sprachassistenten». Zur Auswahl standen die Lösungen der grossen Technologiekonzerne: Amazon, Apple, Google, Microsoft. Mit «Rasa» wurde auch ein Open-Source-Modul für das Natural Language Processing (NLP) einbezogen. Bei der Evaluation und Entwicklung unterstützte das Chatbot-Expertenteam von Paixon: Amazon Alexa fiel durch, da die Technologie in der Schweiz noch nicht offiziell verfügbar ist. «Apple Siri setzt Apps voraus und bietet noch nicht so eine gute Conversational Experience an. Microsoft Cortana wird in Microsoft 365, Outlook Mobile und Teams für die Produktivitätssteigerung eingesetzt werden», sagt Nina Habicht, die als Partnerin bei Paixon bei der Umsetzung des Assistenten unterstützt hat. Gegen «Rasa» gesprochen hat, dass sehr viel selbst entwickelt hätte werden müssen. «Hingegen hat sich Google im B2C und Voice-Commerce etabliert.» Die Sprachtechnologie des Suchmaschinengiganten sei sehr weit fortgeschritten und in der Schweiz die am meisten genutzte Voice-Plattform. Mit dem Google Assistant und anderen Voice-Geräten ist sie ausserdem schon bei den Konsumenten angekommen.
“Googles Sprachtechnologie hat sich im B2C und Voice-Commerce etabliert„
Nina Habicht, Paixon
Bei der SBB wurde eine Anwendung basierend auf Google Actions implementiert, welche die notwendigen Natural-Language-Processing-Technologien mitbringt und sich einfach mit der Bot-Logik von Paixon integrieren liess. Der erste Release des Assistenten war im März dieses Jahres produktiv. Durch den Sommer wurde die Lösung zu einem marktfähigen MVP weiterentwickelt.
Programmieren im Lockdown
Wie viele andere Unternehmen stellte der Covid-19-Lockdown die SBB vor unvorhersehbare Herausforderungen. «Das Projekt wurde innerhalb weniger Monate unter Einbindung an zentrale IT-Systeme der SBB umgesetzt. Das Projektteam arbeitete auch während des Lockdowns dezentral mit agilen Scrum-Methoden zusammen», führt Eggimann aus. Dabei half, dass die SBB sich früh mit anderen Unternehmen ausgetauscht hat, die bereits Erfahrungen mit den Sprachsystemen gesammelt hatten, und Schnittstellen (APIs) aufgebaut hat, die eine rasche Integration erlauben. Auch die Expertisen der Paixon-Spezialisten und ihr Wissen über Plattformbetreiber wie Amazon, Google etc. hätten den Einstieg in die Technologie erleichtert und das Risiko minimiert.
“Die Mehrsprachigkeit der Schweiz und die Mundart sind eine Herausforderung„
Reto Eggimann, SBB
Neben den organisatorischen Hürden hatte das Team auch inhaltliche Probleme zu lösen. So birgt beispielsweise nur schon die Erkennung von Haltestellennamen mehrere Stolperfallen: Einerseits gibt es mehrere Haltestellen mit dem ähnlichen Namen – zum Beispiel ist «Zürich Seebach» [Bahnhof] nicht identisch mit «Zürich, Seebach» [Tram-/Bushaltestelle]. Andererseits sind die Haltestellen in der Landessprache der jeweiligen Region benannt. «Die Mehrsprachigkeit der Schweiz und die Mundart ist für Voice-Technologie eine Herausforderung, da nur in der vom Benutzer eingestellten Sprache transkribiert wird», erklärt Eggimann. So könne die französische Aussprache einer Haltestelle wie «La Chaux-de-Fonds» zu Nachfragen führen, weil die Haltestelle womöglich nicht auf Anhieb erkannt werde. Auch liesse in diesem Szenario die Aussprache des Sprachassistenten zu wünschen übrig.
Mittlerweile kann sich das Ergebnis der Programmierarbeiten aber sehen respektive hören lassen. «Diese Google Action ist eine der grössten und komplexesten in der Schweiz und auch international ein sehr gutes Beispiel eines erfolgreichen Sprachassistenten», sagt Andreas Schlapbach, Senior Enterprise Architect der SBB, der die IT-Integration leitete. «Wir sind sehr zufrieden mit der ersten Umsetzung.» Der «SBB Sprachassistent» sei als Conversational Interface nicht fix verdrahtet, sondern lernt von vorgelegten Sätzen mittels Machine Learning (ML).
Die Anwendung wird mit der Benutzeranfrage «Hi Google, mit SBB sprechen» aufgerufen und holt anschliessend die notwendigen Daten aus verschiedenen Quellen. Aufgrund der Frage werden Antworten generiert, die für die Sprachausgabe an Google zurückgesendet werden. Dabei geht der «SBB Sprachassistent» sehr sorgsam mit den Informationen um. Kundendaten werden nicht bei Google gespeichert, sodass Google weder Zugriff auf die Abfragen noch auf die Daten hat.
«Potenzial für die SBB ist gross»
Nun gehen die SBB-Verantwortlichen mit hohen Erwartungen in den Markttest: «Das Potenzial für die SBB ist gross», sagt Eggimann. Und führt aus: Neben der Kundeninteraktion über den neuen Sprachkanal ist auch der Einsatz in einem Callcenter denkbar, um die Mitarbeitenden bestmöglich zu unterstützen und zu entlasten, oder im Billettautomaten der Zukunft. Weiter sei der Einsatz in den SBB-Reisezentren vorstellbar, um Touristen in ihrer Landessprache zu bedienen.
Am Markt werde die SBB nun die Nutzerzahlen, das Nutzerverhalten und allfällige Probleme bei der Interaktion mit dem «SBB Sprachassistenten» ermitteln, um durch fortlaufende Verbesserungen die Kundenzufriedenheit zu erhöhen. «Anhand der Kundenfeedbacks wollen wir auch verstehen, wie Personen mit dem Assistenten sprechen und interagieren», so Eggimann. Schliesslich solle der Sprachassistent vollständige, aber prägnante Antworten liefern. Der Fokus liege einerseits auf dem Mehrwert für Kunden und der SBB, andererseits auf der Identifikation weiterer Einsatzbereiche innerhalb der SBB. So planen Eggimann und seine Kollegen gemeinsam mit Paixon schon jetzt für die Zeit nach dem Markttest. «Als nächsten Ausbauschritt wollen wir den Kauf von Billetten mit dem ‹SBB Sprachassistenten› ermöglichen», gewährt er einen Blick in seine Agenda. Die dafür erforderliche Funktionalität müsse allerdings zuerst und zusammen mit dem Technologiepartner Google noch fertig entwickelt werden.
Weitere angedachte Erweiterungen seien zum Beispiel Zuginformationen wie die Position des Familienabteils, des Speisewagens oder der Velostellplätze. Ausserdem sei die Unterstützung zusätzlicher Sprachen noch ausstehend, fügt Eggimann an.
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