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01.04.2016, 08:16 Uhr
Warum die Welt kein zweites Facebook braucht
Twitter hat nun bis zu 420 Zeichen lange Bildunterschriften. Eine weitere Annäherung an Branchenprimus Facebook. Twitter schaufelt sich so sein eigenes Grab.
Amerikanische Highschool-Filme zeigen: Alle wollen so sein wie die beliebtesten Schüler - wie die Prom-Queen und der Quarterback. Der Weg zum Ziel ist oft Anpassung. Dass so etwas keine langfristige Lebensstrategie sein kann, wird den meisten klar, wenn sie der Pubertät entwachsen sind. In der Social-Media-Welt ist Facebook die Prom-Queen. Und alle anderen Mädchen der Social-Schule wollen auch so beliebt sein.
Bestes Beispiel aktuell: Twitter. Mitten in der Adoleszenz steckend, versucht der Micro-Blogging-Dienst offenbar alles, um dem uneinholbar scheinenden Branchenprimus langsam immer ähnlicher zu werden. Und schafft das mit verschiedenen Änderungen, neuen Features und Kooperationen. So änderte Jack Dorsey, Twitter-Gründer und seit Oktober der - wie es scheint - unbeliebteste CEO der Firmengeschichte, trotz Dementi kurz darauf die Zusammensetzung des Newsfeeds. Statt chronologisch geordnet, erscheinen Tweets jetzt nach «Wichtigkeit» sortiert. Das bedeutet aber: Ein für die User nicht nachvollziehbarer Algorithmus sortiert die Meldungen nach seinen Kriterien.
Weiter ging es mit Kooperationen mit Yelp oder Ströer. Durch die wird nicht nur kräftig Geld in die Twitter-Kassen gespült - der Vogel wird auch immer mehr in ein «f» gepresst.
Die 140-Zeichen-Begrenzung fällt langsam
Und jetzt fällt auch noch die letzte Barriere: die 140-Zeichen-Beschränkung, Twitters Alleinstellungsmerkmal. Schon im September 2015 lösten Spekulationen über eine Möglichkeit längerer Tweets heftige Gegenwehr der Community aus. Offiziell bestätigt wurde zunächst nichts, dementiert allerdings auch nicht. Bis letzte Woche. Als Dorsey in einem Interview mit dem US-Fernsehsender NBC verkündete, die Beschränkung werde auf jeden Fall bleiben.
Nun kommt sie aber doch, die Aufhebung. Durch eine Hintertür mit Bildunterschriften. Denn die sollen zusätzliche 420 Zeichen erlauben. Wenn man für eine prägnante Aussage nur 140 Zeichen braucht, wieso dann 420, um ein doch für sich sprechendes Bild zu beschreiben?
Twitter tarnt die Neuerung zwar mit Blindenfreundlichkeit und freiem Zugang für ein grösstmögliches Publikum - denn auch Menschen mit Sehbehinderung haben auf die Beschreibung über ihre Unterstützungstechnologien Zugang. Was dahinter steckt dürfte bei der Entwicklung des Microblogging-Diensts in den letzten Monaten allerdings klar sein.
Doch was will Twitter erreichen, wenn sich immer mehr von den Usern geschätzte Features ändern? Wird in San Francisco wirklich die Milchmädchenrechnung gemacht, man könne an Beliebtheit gewinnen, wenn man seine Individualität, seinen USP, aufgibt? Und muss man das überhaupt, die Rücklichter vom davoneilenden Facebook heller leuchten sehen?
Starting today, anyone can make Tweets with images accessible to the visually impaired: https://t.co/mAnehClSNR pic.twitter.com/bmCuMVWJrR
— Twitter (@twitter) 29. März 2016
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Es ist zu früh, Twitter den Tod vorauszusagen
Natürlich kämpft Twitter. Mit stagnierenden Nutzerzahlen, mit «toten Accounts» und damit auch mit der Monetarisierung. Denn auch wenn der Kurznachrichtendienst seine Verluste im Q4 2015 etwas verringern konnte, macht er immer noch Verlust. Und der Löwenanteil der Einnahmen kommt natürlich durch Werbung. Der verringert sich aber, wenn die User weniger - oder zumindest nicht mehr - werden.
Problematisch werden besonders die ungenutzten Accounts. Laut eigener Angaben hat Twitter weltweit zwar im Monat 320 Millionen aktive Nutzer (Facebook bringt es auf 1,6 Milliarden), brachte es aber laut StatCounter im Februar nur auf 4,8 Prozent der Social-Media-Aufrufe auf der ganzen Welt. Damit landet Twitter hinter Facebook (85 Prozent) und Pinterest (6,6 Prozent) nur auf dem dritten Platz.
Trotzdem ist es bei Weitem noch zu früh, eine Grabstätte für Twitter zu ordern. Zumindest dann, wenn die sehr treue Community nicht vollends durch unnötige Social-Media-Uniformität vergrault wird. Ein Facebook gibt es schon, ein zweites braucht die Welt nicht. Twitter sollte sich seine Einzigartigkeit bewahren.
Twitter und Facebook haben andere Funktionen
Denn im Kern haben die beiden sozialen Netzwerke eine andere Funktion und damit auch eine andere Zielgruppe. Die Facebook-ähnlichen Features bringen Twitter, wie es die User schätzen, nichts. Während Twitter ein Platz für prägnante kurze Statements ist, ein Platz, um immer auf dem neusten Stand zu sein, ist Facebook ein Ort, um Freunde zu informieren, was man gerade macht.
Beim Zuckerberg-Netzwerk macht ein Algorithmus Sinn, der mir Posts meiner engsten Freunde bevorzugt anzeigt. Bei Twitter will ich keine Sortierung nach Wichtigkeit, ich will die aktuellste News ganz oben. Bei Facebook ist es hilfreich, Freunden anzuzeigen, dass man sich in einer Yelp-Location befindet. Bei Twitter nur dann, wenn ich etwas Witziges und Unterhaltsames für eine grosse Follower-Zahl zu dieser Location sagen kann. Und auch eine Zeichenbegrenzung wäre bei Facebook fehl am Platz. Bei Twitter ist das allerdings der, der seine Aussage nicht in 140 Zeichen packen kann.
Vielleicht gewöhnen sich die Twitter-User an die neuen Features. Die Community damit zu vergrössern und der Stagnation der Nutzerzahlen Einhalt zu gebieten, scheint allerdings fraglich. Und eines sollte man aus all den Highschool-Filmen ja auch gelernt haben: Sich durch Äusserlichkeiten in eine Rolle zu zwängen, die nicht die eigene ist, führt nie zum Erfolg. Am Ende gewinnen auch in US-Teenie-Komödien immer die Individualisten.
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