News 26.11.2013, 13:05 Uhr

Analyse: die Grenze des privaten Raums

Ein junger Mann bedroht seine Freunde auf Facebook. Das Zürcher Obergericht verurteilt den Gymnasiasten, mit der Begründung, Facebook-Einträge seien öffentlich.
Das Zürcher Obergericht hat erstmals eine Linie gezogen. Beiträge, die an alle Facebook-Freunde gerichtet sind, gelten als öffentlich und fallen unter entsprechende rechtliche Limiten. Dieser Fall des drohenden Maturanden ist jetzt schon ein Präzedenzfall, gab es doch in der Schweiz noch nie ein Urteil zum Thema. Ob sich abschliessend das Bundesgericht über den Fall beugen muss, ist noch nicht klar - zu begrüssen wäre es.
Die Richter argumentieren in letzter Konsequenz, dass Facebook ein öffentlicher Raum per se sei. Als privat wird vom Obergericht Zürich alles bezeichnet, das im Rahmen von Familie und guten Freunden passiert. Diese Sichtweise lässt keine Nuancierung zu. Doch wäre eine solche von Fall zu Fall angebracht. Auch bleibt offen, ob das Urteil ausschliesslich auf Facebook oder generell auf weitere soziale Medien anwendbar wäre.
Denn nicht alle sozialen Medien funktionieren gleich. Nicht alle Dienste ziehen klare Grenzen zwischen privat und öffentlich. Und nicht alle Personen nutzen diese Medien auf die gleiche Art und Weise.

Beispiel: «Freunde» auf Facebook

Ein Schüler gibt seinem Frust auf Facebook ein Ventil. Er wünscht sich die gesamte Schule zur Hölle und spart in seinem Eintrag nicht an Details, wie er das bewerkstelligen will. In seiner Facebook-Freundesliste befinden sich nur wenige, hauptsächlich gute Freunde und Familieangehörige. Wird diese Aussage jetzt privat oder öffentlich gemacht? Laut Urteil wäre es Letzteres. Doch Öffentlichkeit erlangt diese Aussage ja erst, wenn sie von einem Freund «geteilt» wird. Man kann also grundsätzlich für alles haftbar gemacht werden, was man auf Facebook veröffentlicht.

Beispiel: Pingpong auf Twitter

Zwei Freunde unterhalten sich über Twitter. Dabei verwenden sie zwar nicht die direkte Nachrichtenfunktion, schreiben jeweils aber das Twitter-Handle vor den Text. So sehen nur Personen, die beiden Parteien folgen, die Nachrichten.
Hier unterhalten sich eigentlich zwei Personen privat in einem öffentlichen Umfeld. Als Vergleich könnte man eine private Unterhaltung auf einem grösseren Platz nehmen. Es ist grundsätzlich möglich, der Konversation zu folgen. Ergo: Das geschriebene Wort wiegt nach wie vor mehr als das gesprochene.

Ein Urteil für einen spezifischen Fall

Gilt demnach alles, was auf sozialen Medien geschrieben wird, als öffentlich, weil es theoretisch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann? Das wäre ungefähr dasselbe, wie wenn jemand mit einer Kamera und einem Mikrofon in einer Bar Gespräche aufnimmt und «heikle» Aussagen ins Netz stellt. Dann wäre auch jede private Unterhaltung im öffentlichen Raum automatisch komplett öffentlich.
Am Ende kann im Umgang mit sozialen Medien und verbotenen Aussagen nicht einfach eine Linie gezogen werden. Die Problematik ist äusserst komplex und verlangt eine individuelle Betrachtung eines jeden einzelnen Falls. Nur schon die Sprache an sich lässt grossen Raum für Interpretationen und Missverständnisse zu, die nicht durch einzelne Beispielsfälle vereinfacht werden können.
Zum anderen wird etwas klar: Wer eine Meldung einer grösseren Menschengruppe zugänglich macht, muss damit rechnen, jemandem damit auf die Zehen zu treten. Bei heiklen Themen kann es sogar zu rechtlichen Auswirkungen kommen.


Autor(in) Marcel Hauri



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