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27.04.2016, 08:23 Uhr
Schlechter Handy-Empfang im Zug: Doris Leuthard stiehlt sich aus der Verantwortung
Doris Leuthard kritisiert SBB und Telkos scharf für schlechten Mobilfunkempfang im Zug. Dabei trägt die Verkehrsministerin wenig dazu bei, das Problem zu lösen.
Nur wenige Menschen trauen sich, SBB-Chef Andreas Meyer und Swisscom-CEO Urs Schaeppi die Meinung zu sagen. Zu ihnen gehört, das weiss man spätestens seit letzter Woche, Bundesrätin Doris Leuthard. Die Verkehrs- und Kommunikationsministerin bezeichnete an einer Medienkonferenz die Bemühungen von SBB und Telkos, in der Schweiz für besseren Empfang im Zug zu sorgen, als «peinlich». Es sei ein «grosses, ein sehr grosses Ärgernis», dass nichts vorwärtsgehe, obwohl die Firmen seit Jahren Versprechungen in diese Richtung abgeben würden.
Obwohl öffentliche Demütigung weder für SBB noch Swisscom zum Alltag gehört, scheuen sich die Firmen, Missfallkundgebungen von sich zu geben. Einerseits, weil beide stark vom Bund profitieren, andererseits, weil die Unternehmen Leuthards Wunsch gerne erfüllen würden. Bloss: Sie können es nicht. Denn auch wenn Leuthard einige wichtige Punkte ansprach, ist das Thema viel zu komplex, um mit einer medialen Standpauke alles zum Besseren zu wenden. Das wurde offensichtlich, als Leuthard ihren Lösungsansatz präsentierte: «Die Telkos sollen doch einfach ihre vorhandenen Antennenstandorte miteinander teilen.»
Technisch ist das überhaupt kein Problem, bereits heute teilen sich die Telkos gewisse Masten. Trotzdem bleibt der Empfang im Zug schlecht und wird auch nicht besser, wenn Salt, Sunrise und Swisscom an jedem Standort zu dritt vertreten wären. Schuld daran ist Doris Leuthard selbst. Um im Zug guten Empfang zu erreichen, sind nämlich nicht nur die Unternehmen gefordert, sondern auch die Politik und besonders das UVEK von Leuthard. Dabei muss sie das Augenmerk auf zwei Hindernisse legen:
- Die Strahlenverordnung NISV muss auf internationale Standards ausgerichtet werden.
- Kantone müssen weniger Mitspracherecht beim Antennenbau erhalten.
Strahlenverordnung
Die «Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung» (NISV) schreibt vor, dass Antennen in der Schweiz ein um bis zu zehnmal schwächeres Signal senden können als andernorts. Entlang der wenig bevölkerten Bahnstrecken ist das ein Problem für die Telkos, die für eine ähnliche Abdeckung wie in Nachbarländern wesentlich mehr Antennen aufstellen müssen. Man spricht davon, dass jede vierte Antenne eingespart werden könnte, wären die Strahlengrenzwerte auf dem Niveau der Nachbarländer. Dass dem nicht so ist, ist übrigens ein Hauptgrund dafür, dass in der Schweiz das Telefonieren derart viel teurer ist als in anderen Ländern. Als in der Schweiz 1999 die Strahlengrenzwerte festgelegt wurden, war noch Ruth Dreifuss Bundespräsidentin, RTL strahlte die erste Folge von «Wer wird Millionär» mit Günther Jauch aus und Handys wurden vom Millionen- zum Milliardengeschäft. Die tiefen Grenzwerte lagen in der Furcht begründet, Mobilfunkstrahlung könnte schädliche Effekte für den Menschen haben. Stand heute ist allerdings nur nachgewiesen, dass das Körpergewebe erwärmt wird. Deshalb gibt es keinen rationalen Grund, die Werte nicht wenigstens dem Niveau der Nachbarländer anzupassen.
Mitspracherecht der Kantone
Die Telkos, die ihren Kunden überall eine gute Abdeckung bieten müssen, bauen deshalb mehr Antennen. Allerdings wird dieses Vorhaben erschwert, weil für jede Antenne ein Baugesuch beim Kanton eingereicht werden muss. Eine Bewilligung ist auch nötig, wenn die Telkos Antennen gemeinsam nutzen wollen. Und wenn sie diese erhalten haben, können die Anwohner Einsprache einreichen, worauf Bauvorhaben gestoppt werden. Föderalismus und direkte Demokratie sind zwei grundschweizerische Werte, in dem Fall verzögern und verteuern sie den Antennenbau aber massiv. Besonders, da Mobilfunkantennen einen Sonderstatus zu geniessen scheinen. Solarzellen beispielsweise brauchen keine Bewilligungen, bei diversen anderen Fällen wie Übergangsleitungen oder Eisenbahnschienen setzt sich der Bund über das Gesetz hinweg und entzieht kantonalen Instanzen die Kompetenz. Derzeit wird die Revision des Fernmeldegesetzes vorbereitet. Das UVEK hat die Chance, darin Paragraphen aufzunehmen, die den Antennenbau erleichtern.
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Bakom wehrt sich
Bakom wehrt sich
Philippe Horisberger, Stellvertretender Direktor des Bundesamts für Kommunikation (Bakom), bestätigt mehrheitlich die Ausgangslage. Allerdings nimmt er, wie seine Chefin, die Telkos in die Pflicht. Zwar sei es so, dass die Telkos keine Antennen teilen können, wenn der Strahlengrenzwert erreicht sei. Dies sei vor allem in Siedlungszonen oft der Fall. Allerdings würden die Telkos, wenn sie eine Antenne bauen, oft dafür sorgen, dass sie das volle Strahlungskontingent erhalten. Ob dies wirklich immer zwingend nötig sei, lässt Horisberger im Raum stehen. Fakt ist, dass dadurch die Konkurrenz nicht mehr auf den Masten kann. Dagegen könne das Bakom nichts unternehmen. Zudem sei es zwar für den Netzausbau mühsam, dass Bewilligungen eingeholt und Beschwerden eingereicht werden können. Aber so laute nunmal das Gesetz. Daran werde auch die Revision des Fernmeldegesetzes nichts ändern, sagt Horisberger, der für Frequenzen und Konzessionen zuständig ist. Strahlen hätten eine Auswirkung auf die Umwelt und für die Umsetzung des Umweltrechts seien grundsätzlich die Kantone zuständig.
Der Netzausbau ist allerdings nur ein Teil des Problems. Der andere: das Signal störungsfrei in die Züge zu bringen. Mit ihren dicken Aussenhüllen und schnellen Geschwindigkeiten stellen sie die besten Netzspezialisten des Landes vor Probleme. Hier will und kann das Bakom helfend zur Seite stehen: Ab 2019 stellt man den Telkos ein neues Frequenzband (700 MHz) für den Mobilfunk zur Verfügung. Dieses hat den Vorteil, dass eine Zelle eine Reichweite von 10 bis 15 Kilometern haben kann. Zum Vergleich: Heute beträgt die Reichweite mit UMTS 2 Kilometer pro Zelle. Ein Zug, der mit 160 Stundenkilometern unterwegs ist, legt diese Distanz derart schnell zurück, dass der Zellwechsel ungefähr alle 20 Sekunden notwendig ist. Je länger der Zug in der gleichen Zelle bleiben kann, desto grösser ist die Netzkapazität, die für die Benutzer zur Verfügung steht. Zudem soll das 700-MHz-Band auch bessere Verbreitungseigenschaften besitzen. Bedeutet, dass die massive Aussenhülle der Züge ein weniger grosses Problem darstellen wird. Gemäss Horisberger ist noch nicht bestimmt, welche und wie viele der Telkos die neue Frequenz nutzen dürfen. Eine Versteigerung sei wahrscheinlich.
Wann kommen die Repeater?
Bei der Aufrüstung der Züge sind auch die Unternehmen gefordert, allen voran die SBB. Schliesslich sind sie es, die darauf angewiesen sind, ihren Kunden guten Empfang zu liefern. 2014 versprachen die Schweizerischen Bundesbahnen deshalb, sämtliche 1700 Regionalverkehrswagen mit Repeatern auszurüsten. Diese verstärken das Mobilfunksignal und haben für die SBB den Vorteil, dass sie kein WLAN in den Wagen anbieten müssen. Im Fernverkehr haben die SBB das Projekt bereits abgeschlossen und sind mit dem Ergebnis zufrieden. Im Regionalverkehr hinkt man allerdings hintendrein, der Grund sind Geldstreitigkeiten. Anders als im Fernverkehr dürfen die SBB im Regionalverkehr laut eigener Aussage nur anbieten, was Bund und Kantone bestellen und bezahlen. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) stellte deshalb im Oktober 2014 in Aussicht, 8 Millionen Franken pro Jahr zur Steigerung der Empfangsqualität bereitzustellen. Das ist ein Grossteil der Kosten, wie das BAV damals sagte und hoffte, dass die SBB nun mit dem Einbau beginnen würden. Geschehen ist bis heute nichts. Was daran liegt, dass SBB und Bund unterschiedliche Vorstellungen von der Verwendung der Gelder haben. Für das BAV sind es Rückerstattungskosten, die Investitionen sollen die SBB übernehmen. Die SBB wollten aber nicht vorwärtsmachen, bis sie die Gelder auf sicher haben. Da der Verpflichtungskredit erst 2017 gesprochen wird, gebe es dafür keine Garantie. Kommt dazu, dass man beim BAV die ersten Zahlungen für 2018 in Aussicht stellte. Mittlerweile spricht man von 2020. Schuld seien finanzielle Engpässe beim Bund, sagt das Amt.
Die SBB wollen die Installation der Repeater nun auch ohne Verpflichtungskredit vorantreiben und einen Teil der Kosten vorfinanzieren. Im Sommer 2016 wird mit der Ausrüstung der ersten Regionalverkehrswagen in der Zürcher S-Bahn gestartet. 2022 sollen alle 1700 Regionalverkehrswagen aufgerüstet sein. Allerdings würde man es bedauern, wenn das Geld vom Bund erst 2020 zur Verfügung stünde. Man erwarte, dass er seinen Teil der Abmachung einhalte.
Fazit
Die Chancen, dass Zugfahrerinnen und Zugfahrer in der Schweiz bald besseren Empfang haben werden, sind vorhanden. Die Kritik von Leuthard führt allerdings kaum dazu, dass es schneller geht. Wesentlich konstruktiver wäre es, sie würde die Bemühungen in ihrem Departement in diese Richtung vorantreiben.
Auffallend war bei der Recherche zu diesem Artikel, dass sämtliche Telkos, die SBB und die Behörden behaupteten, der Empfang in den Zügen sei sehr gut. Als Quelle wurde ein Test der Zeitschrift «Connect» genannt, die dem Mobilfunkempfang in Schweizer Zügen ein höheres Niveau bescheinigten als in Deutschland und Österreich. Allerdings kommt der Test zum Schluss, dass in der S-Bahn 11 Prozent aller Gespräche unterbrochen werden, was ein deutlicher Rückstand gegenüber den letzten Messungen für Stadt und Agglomeration sei. Dagegen schnitt der Fernverkehr mit 92 Prozent erfolgreicher Gespräche laut «Connect» gut ab. Wer denkt, 3 Prozent sind kein ernst zu nehmender Unterschied, irrt: Der Nahverkehr führt deutlich länger durch dicht besiedeltes und damit gut mit Mobilfunk versorgtes Gebiet, die Ergebnisse müssten deshalb besser sein als im Fernverkehr. Den Unterschied machen die fehlenden Repeater. Eine 3 MB grosse Datei konnte im Fernverkehr zudem in 96 Prozent der Fälle erfolgreich heruntergeladen werden. Im Regionalverkehr lag die Fehlerquoten bei 9 Prozent. Auch wenn nicht erwartet werden darf, dass der Empfang im Zug jemals so gut sein wird wie zu Hause – dafür sind die technischen Hürden wohl zu hoch –, erschliesst sich dem Autor nicht, warum die Verantwortlichen ob dieser Resultate den Test als Beweis für ihre Bemühungen heranziehen.
Autor(in)
Fabian
Vogt
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