Kommentar
17.12.2010, 07:00 Uhr
Sauber verlocht
Es muss unglaublich viele Leute geben, die unglaublich viel Geld für sogenannte HiFi-Anlagen ausgeben. Die Frage ist, warum.
Spätestens beim kilometerlangen Gang durch die Ausstellungshallen der CES wurde mir klar: Überteuerte Audioanlagen sind nicht nur ein Markt für ein paar wenige Spinner, das ist ein ganz grosses Ding. Viele Männer (es sind immer Männer), laufen anscheinend Gefahr, wenn sie das kritische Alter von etwa 40 Jahren erreicht haben, plötzlich ihr ganzes Geld in eine sogenannte audiophile Anlage zu stecken. Böse Zungen behaupten, audiophil sei eine perverse sexuelle Neigung. So weit würde ich nicht gehen, dennoch: Es ist nicht ganz nachvollziehbar, was in der Psyche eines Audiophilen vor sich geht. Das Bedürfnis nach reiner Angeberei kann es nicht sein, denn dann würden sich diese Leute etwas kaufen, womit sie auch ausserhalb der eigenen vier Wände protzen können, zum Beispiel ein Auto oder eine Uhr. Ein Hang zum Geniessertum kann es auch nicht sein, denn von dem Geld könnte man sich so viel anderen Genuss kaufen, dass diese Investition geradezu masochistisch anmutet.
Natürlich bleibt es nicht dabei, eine fünfstellige Summe in Plattenspieler, Röhrenendstufe und Marmorboxen mit handgeschöpfter Büttenpapiermembran zu verlochen. Das Ganze bringt rein gar nichts, wenn man nicht Goldanschlüsse und -kabel verwendet, von denen jeder Meter so viel kostet wie vier Wochen Ferien auf den Malediven. Und gerade Vinyl braucht Pflege: Antistatikpistole, Carbonbürste, Plattenwaschmaschine, Ersatznadeln etc. Der echte Audiophile, habe ich mich belehren lassen, «phast aus», d.h. er steckt den Stromstecker verkehrt ein, um Störgeräusche zu eliminieren, die durch Phasen des Wechselstroms angeblich entstehen sollen. Ausserdem hängt er statt Bilder Eierkartons in der Wohnung auf, denn Wandflächen stören den Raumklang, zudem bewegt er sich nie von der Stelle, weil der perfekte Stereogenuss nur an einem einzigen Ort im Raum möglich ist.
Nun steht es jedem frei, sein Geld zum Fenster hinauszuwerfen, wie er gerade lustig ist, mich kratzt das überhaupt nicht. Und wenn diese HiFi-Freaks den Rest ihres Lebens dann ihre helle Freude an diesen schönen Sachen haben, mag ich es ihnen von Herzen gönnen. Nur, so unter uns gesagt: Heutzutage tönt auch eine Anlage für 2000 Franken recht gut. So gut, dass man eigentlich den Unterschied nur merkt, wenn man ihn merken möchte. Und, das darf man nun wirklich nur hinter vorgehaltener Hand sagen: AAC mit 256 kBit pro Sekunde tönt ebenfalls recht gut. Es braucht kein FLAC, kein SACD, und schon gar kein handgebügeltes Vinyl, um Musik gut finden zu können.
Aber das dürfen Sie einem Audiophilen nicht sagen. Sie würden mit Empörung, Verachtung oder gar Verzweiflung konfrontiert. Der Freundschaft auch keineswegs förderlich ist folgende (allerdings sehr richtige) Bemerkung:
Gute Musik mit 128 kBit/s tönt hundert Mal besser als schlechte Musik mit 1411 kBit/s.
Autor(in)
David
Lee
17.12.2010
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