Tests
19.09.2016, 07:41 Uhr
Test: iPhone 7 (Plus)
Lassen Sie sich vom Äusseren nicht narren: Das iPhone 7 ist der vielzitierte Wolf im Schafspelz.
Das iPhone 7 sieht seinen beiden Vorgängern zum Verwechseln ähnlich. Tatsächlich aber hat es Apples Goldjunge faustdick hinter den Ohren, wie wir gleich sehen werden.
Natürlich zieht die neue Kamera die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Allerdings sind die Zeiten vorbei, als sich die Kamera im iPhone Plus nur durch den optischen Bildstabilisator unterscheidet: Die Linsen im iPhone 7 Plus sind derjenigen im iPhone 7 deutlich überlegen. Wenn Sie einerseits ein Freund kleiner Smartphones sind und andererseits Wert auf eine möglichst gute Kamera legen, sollten Sie sich jetzt auf einen grossen Gewissenskonflikt einstellen.
Beginnen wir mit dem kleinen Modell, das sämtliche Eigenschaften mit dem iPhone 7 Plus teilt.
Die Kamera im iPhone 7
Die beste Nachricht zuerst: Auch das kleinere iPhone 7 ist jetzt mit einem optischen Bildstabilisator ausgestattet, der bei Fotos und Videos wirkt. Die Brennweite beträgt 28 Millimeter (auf KB umgerechnet). Die Blende wurde auf ƒ/1.8 vergrössert – das bedeutet mehr Durchlass für das Licht, was zu besseren Fotos in der Dämmerung führt und das finden wir deshalb eine gute Sache. Die Auflösung beträgt wie beim Vorgänger maximal 12 Mpx. Dieser Wert ist heute bei den Smartphones der beste Kompromiss zwischen Auflösung und Bildqualität.
Das Einzige, was die Jugend noch lieber fotografiert als Essen, ist sich selbst. Deshalb wird auch die neue Frontkamera auf breite Zustimmung stossen: Selfies werden jetzt mit 7 Mpx geschossen oder in Full HD (1080p) gedreht. Die Gesichts- und neu die Körpererkennung sorgt dafür, dass die Schärfe nicht auf der Imbissbude im Hintergrund landet.
Bildqualität
Die Qualität der Fotos überzeugt durchs Band mit eher dezenten, aber natürlichen Farben. Wer es ein wenig kräftiger mag, greift auf einen der Filter in der Kamera-App zu. Dabei muss vor allem die Helligkeitsverteilung während der Aufnahme stimmen. Apple verwendet dazu ein «lokales Tonemapping». Das heisst, ein Bild wird in Bereiche zerlegt, die unabhängig analysiert und korrigiert werden. Als direkte Folge wird mehr Zeichnung in den Lichtern und Schatten erfasst.
Hier ein Beispiel: Der helle Himmel ist ein Risiko für jeden Bildsensor, weil er schnell überbelichtet wird und an Details verliert. Oder die Belichtung des Himmels ist korrekt, doch stattdessen saufen die Schatten ab. Das iPhone 7 zerlegt das Bild noch während der Aufnahme. Es korrigiert die Lichter und Schatten individuell, um die maximalen Bildinformationen einzufangen (Variante oben). Was nach der Aufnahme mit diesen Informationen geschieht, bleibt dem Fotografen überlassen. In diesem Fall wurde der Filter «Chrom» angewendet, damit die Szene etwas mehr Biss zeigt (Variante unten).
Videos
Wenn Sie gerne Filme drehen, ist die Videofunktion genau Ihr Ding – auch wenn die technischen Daten im Vergleich zum Vorgänger unverändert geblieben sind. Das iPhone 7 filmt in Full HD (1080p) mit bis zu 60 fps (Bildern pro Sekunde). Die Zeitlupe liegt bei hohen 120 fps in Full HD oder sogar bei 240 fps in HD (720p). Damit werden interessante Bewegungsstudien mit den Kindern zu einem Klacks.
Die höchste Auflösung liegt bei 4K und 30 fps. Dank der optischen Stabilisierung liefert das iPhone 7 butterweiche Filme mit einer hervorragenden Schärfe und natürlichen Farben. Auf dem grossen Fernseher im Wohnzimmer sind Ihnen «Ahhhh!» und «Ohhhh!» gewiss.
Für die hervorragende Filmqualität zeichnet auch der schnelle Sensor verantwortlich. Im direkten Vergleich mit einem Huawei Nexus 6P (m.M. nach eines der besten Android-Smartphones) fiel auf, dass das 4K-Bild des Android-Geräts «schwimmt», weil der Sensor nicht schnell genug ausgelesen wird. Der berüchtigte Rolling-Shutter-Effekt zeigte sich bereits bei ruhigen Szenen mit Personen, während das iPhone 7 glasklare, unverzerrte Einzelbilder liefert. Kurz gesagt: 4K ist nicht gleich 4K – und das wird beim Studium der technischen Daten gerne vergessen.
Die Signalverarbeitung
Ein anstrengend-technischer Begriff. Doch was dahintersteckt, trägt massgeblich zu Apples Führungsposition bei. Die hauseigene Signalverarbeitung zeichnet für alles verantwortlich, was mit der Bildumsetzung zu tun hat – und sie erledigt diese Aufgabe unglaublich schnell!
Panoramen. Führen Sie das iPhone über eine Szene. Anschliessend setzt das Gerät die einzelnen Bilder zu einem nahtlosen Panorama mit 63 Mpx (!) zusammen – und zwar ohne dass eine spürbare Verzögerung auftritt. Das Bild ist einfach da, in einem Wimpernzucken berechnet, als wäre es das Normalste der Welt.
Burst-Modus. Halten Sie den Auslöser gedrückt, und das iPhone schaltet in den Burst-Modus. Jetzt schaufelt das Gerät 10 Bilder pro Sekunde in sich hinein – mit 12 Mpx, in der besten Qualität und mit allen Optimierungen einer einzelnen Aufnahme: Farben werden korrigiert, das Rauschen gemildert und Tonwerte in unterschiedlichen Bereichen angepasst. Und das alles zehnmal pro Sekunde.
Trotzdem gibt es für die Menge der Bilder keine Obergrenze. Schiessen Sie ein Dutzend Fotos am Stück, Hunderte oder Tausende. Halten Sie den Auslöser gedrückt, bis der Speicher voll ist oder der Finger abfällt. Am Schluss präsentiert Ihnen das iPhone eine Auswahl der schärfsten Bilder mit optimaler Belichtung. Wenn ausserdem Personen abgebildet sind, werden Fotos mit geschlossenen Augen aussortiert. Und so weiter. Die Wartezeit für die Analyse dauert – Sie ahnen es schon – nur ein Wimpernzucken.
RAW-Fotos
Endlich erlaubt Apple die Aufnahme im RAW-Format, oder zumindest im DNG-Format. (Technisch gesehen sind das zwar keine echten RAW-Fotos, doch die Unterscheidung würde in diesem Zusammenhang wie Haarspalterei wirken.) RAW-Fotos sind von jener automatischen Nachbearbeitung ausgeschlossen, die schlussendlich zu JPEG-Bildern führt. Das wiederum bedeutet, dass der Weissabgleich, das Entrauschen, die Farbgebung und vieles mehr in die Hände des Fotografen gelegt wird.
Ob man sich das antun will oder nicht, ist Ermessenssache. Für mich bedeutet es zum Beispiel, dass ich die Farbgebung der iPhone-Bilder jenen aus der «grossen» Kamera anpassen kann, wenn ich aus den Ferien zurück bin. Bisher wirkten die iPhone-Fotos immer wie Fremdkörper, nachdem sie mit den anderen gemischt wurden – nicht weil diese Fotos farblich schlechter sind, aber eben deutlich anders.
Das war die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass dieses Format (noch) nicht von Apples eigener Kamera-App unterstützt wird – also ausgerechnet jener App, die sich als Einzige mit einer Bewegung am Startbildschirm aufrufen lässt. Stattdessen bleibt diese Eigenschaft den Apps von Drittanbietern überlassen.
Dazu gehört glücklicherweise Adobe Lightroom Mobile, das die Bilder gleich via CreativeCloud mit den Desktop-Versionen von Lightroom synchronisiert. Allerdings sind die restlichen Funktionen rudimentär; nicht einmal zwischen den beiden Objektiven im iPhone 7 Plus kann gewechselt werden.
Doch viele andere werden folgen, so zum Beispiel die leistungsfähige App ProCamera (5 Franken). Sie unterstützt DNG, den Objektivwechsel und vieles mehr. Das ist die App, die Sie sich als engagierter iPhone-7-Plus-Fotograf zuerst ansehen sollten.
Das waren die wichtigsten Eigenschaften der Kamera im iPhone 7. Das iPhone 7 Plus legt noch eine grosse Schippe drauf.
Die Kamera im iPhone 7 Plus
Wie bereits angetönt, ist das iPhone 7 Plus nicht mit einer, sondern gleich mit zwei Kameras ausgestattet. Das Weitwinkel mit 28 Millimetern Brennweite und Blende ƒ/1.8 entspricht jener im kleinen iPhone 7. Dazu gesellt sich ein sehr leichtes Tele mit 56 Millimetern bei Blende ƒ/2.8.
Schade: Dem grossen Objektiv wird der optische Bildstabilisator vorenthalten, was gerade bei Videos auffällt – nicht schlimm, aber bei genauem Hinsehen erkennbar. Bei Full-HD-Videos mit der 56-Millimeter-Linse greift wenigstens die digitale und sehr effektive Bildstabilisierung, doch bei 4K-Aufnahmen wird auch diese deaktiviert.
Trotzdem wird die 56-Millimeter zu meiner Standardkamera, weil sie das Bild weniger verzerrt. Das Weitwinkel werde ich nur hinzuziehen, wenn es die Licht- oder Platzverhältnisse nicht anders zulassen.
Portrait-Modus: ein «Game-Changer»?
Der neue «Portrait»-Modus wurde bei der Vorstellung des iPhone 7 Plus enthüllt. Leider hat er es nicht mehr in das aktuelle iOS 10.0.1 geschafft; stattdessen wird er im Verlauf des Jahres als Software-Update nachgereicht.
Das Prinzip: Eine Person wird immer mit dem schmeichelhafteren 56-Millimeter-Objektiv abgelichtet. Gleichzeitig erstellt das 28-Millimeter-Objektiv eine dreidimensionale Tiefenkarte des Körpers. Damit wird das Modell extrahiert, während der Hintergrund in der digitalen Unschärfe verschwimmt.
Wie gut das in der Praxis funktioniert, werden wir später ausgiebig testen. Allerdings lehrt die Erfahrung, dass Apple solche visuellen Spielereien meisterhaft umsetzt und deshalb nichts Halbgares abliefern wird.
Das iPhone 7 Plus der Kamera wegen?
Zum Schluss bleibt nur die Frage schlechthin: Wie wichtig ist die Kamera im iPhone? Eine Entscheidung zugunsten des kleinen Modells würde mir wegen der fehlenden Kamerafunktionen sehr schwerfallen. Wenn die Bilder im «Portrait»-Modus auch nur halb so gut aussehen, wie jene, die Apple während der Keynote gezeigt hat, dann ändert diese Funktion einfach alles – und der Rest der Smartphone-Industrie steht mit heruntergelassenen Hosen da.
Doch da ist noch mehr.
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