Kopfhörer-Tipps 10.03.2025, 10:00 Uhr

Praktische Hörhilfe

Seit Kurzem sind die Apple AirPods Pro 2 eine zertifizierte Alternative zum klassischen Hörgerät – und bringen damit eine verwöhnte Industrie in Bedrängnis. Wir haben die Funktion getestet und geben praktische Tipps.
(Quelle: Apple)
Die Preise für ein klassisches Hörgerät wirken absurd. Für die besseren Modelle werden 5000, 6000 oder auch 7000 Franken fällig. Im Vergleich: Bei der Zusammenstellung eines Gaming-PCs muss man sich geradezu ins Zeug legen und mindestens zwei High-End-Grafikkarten verbauen, um auch nur in die Nähe solcher Preise zu kommen. Denn in diesem Markt, der eigentlich reich an Mitbewerbern ist, hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Doch vielleicht bekommt das Geschäftsmodell dank Apples Kopfhörern ein paar Risse.
Bild 1: Apples AirPods Pro sind so allgegenwärtig, dass sie niemand als Hörgerät wahrnimmt
Quelle: PCtipp.ch
Denn mit einem kostenlosen Firmware-Update werden die AirPods Pro der zweiten Generation zu einer zertifizierten Hörhilfe – aber in einer Preislage, die weit unter dem liegt, was auch für das billigste Hörgerät anfallen würde: Der Listenpreis beträgt gerade einmal 229 Franken.
Zu diesem Preis erhält man nicht nur ein Hörgerät, sondern auch die beliebtesten drahtlosen Kopfhörer überhaupt, die längst unser Strassenbild prägen, Bild 1.

Das Kleingedruckte

Gemäss Apple sind die AirPods Pro für Personen gemacht, die sich mit einem «leichten bis moderaten» Hörverlust herumschlagen müssen. Eine schwere Hörminderung sollte jedoch vom Spezialisten behandelt werden, also vom HNO-Arzt oder dem Hörgerät-Akustiker. Ausserdem sollte der Träger mindestens 18 Jahre alt sein.
Doch der Preis für die AirPods wirkt im Vergleich zu einem Hörgerät symbolisch. Deshalb wird die Aussicht auf Erfolg so manchen Interessenten zu einem Experiment motivieren, obwohl er sich ausserhalb der erwähnten Zielgruppe befindet.
Auf jeden Fall ist eine Gewöhnungszeit angesagt. Die liegt etwa in der Grössenordnung von zwei bis drei Wochen. Während dieser Zeit sollten die AirPods Pro regelmässig getragen werden. Zuerst wird die Hörverstärkung etwas fremd klingen, was der neuen Hellhörigkeit geschuldet ist. Doch das gibt sich; wir sprechen aus Erfahrung.

Die Einstellungen

Bild 2: Die Einstellungen sind nur sichtbar, wenn die Kopfhörer getragen werden
Quelle: PCtipp.ch
Im Folgenden werden wir auf verschiedene Einstellung am iPhone zu sprechen kommen. Die sind jedoch nur zugänglich, wenn die AirPods Pro getragen werden. Anschliessend öffnen Sie die Einstellungen des iPhones. Jene für die AirPods Pro finden Sie weit oben, Bild 2.

Anforderungen

● iPhone und iOS: Die Verwendung als Hörhilfe bedingt ein iPhone. Das liegt auf der Hand, da ein enges Zusammenspiel zwischen Hard- und Software stattfindet. Jedes iPhone ist qualifiziert, solange auf ihm die neuste Version von iOS 18 installiert ist.
● AirPods Pro 2: Aktuell funktioniert die Hörhilfe nur mit den AirPods Pro der zweiten Generation. Das ist schade, denn die wesentlich neueren AirPods 4 sind mit demselben H2-Chip ausgestattet und befinden sich technisch auf Augenhöhe. Gerade bei längerem Tragen könnte die offene Bauform zu einer Komfort-Funktion werden. Es bleibt nur die Hoffnung, dass sich das noch ändert.
Bild 3: Die aktuelle Firmware muss auf 7A305 oder neuer lauten
Quelle: PCtipp.ch
● Firmware:
Die AirPods Pro 2 benötigen mindestens die Firmware 7A305 oder neuer. Welches die aktuelle Versionsnummer ist, erfahren Sie auf der Apple Support-Seite unter go.pctipp.ch/3400. Um die Firmware Ihrer AirPods Pro zu prüfen, rufen Sie deren Einstellungen am iPhone auf. Wischen Sie ganz nach unten bis zum Bereich Info, Bild 3.
Leider bietet Apple bis heute keine Möglichkeit, ein solches Update manuell anzustossen. Stattdessen muss auf dem iPhone das neuste iOS 18 installiert sein. Über Nacht werden anschliessend das iPhone und die AirPods Pro mit einer Stromquelle versorgt – und mit ein wenig Glück gibt es am nächsten Morgen eine Bescherung.

Die Schritte zum Hörgerät

Die neuen Aspekte zur Hörgesundheit umfassen nicht eine, sondern gleich drei Funktionen. Zuerst muss geklärt werden, wie es um die eigene Hörfähigkeit bestellt ist. Diese Aufgabe übernimmt der integrierte Test, der durch eine Reihe von Tönen analysiert, welche Frequenzen noch wahrgenommen werden. Als Resultat wird ein Hörprofil erstellt, mit dem die Klangkulisse so moduliert wird, dass die Schwächen möglichst gut kompensiert werden.

Die Prävention

Bild 4: Die Reduktion einer lauten Umgebung fördert die Prävention
Quelle: PCtipp.ch
Und schliesslich kommt auch die Vorsorge nicht zu kurz, indem laute Umgebungen automatisch gedämpft werden – also zum Beispiel in Fabrikhallen, auf Konzerten oder auf Baustellen. Der Schalter ist in den Einstellungen nicht im neuen Bereich Hörgesundheit zu finden, sondern weiter unten bei Laute Geräusche reduzieren, Bild 4. Damit wird die Geräuschkulisse nicht einfach nur abgeschwächt, sondern durch den H2-Chip in den AirPods Pro bis zu 48 000 Mal pro Sekunde analysiert und dynamisch angepasst. So soll die Musik an Konzerten weiterhin natürlich und dynamisch klingen, was wir allerdings nicht getestet haben. Und spätestens an diesem Punkt gehört auch die Jugend zur Zielgruppe, die sich normalerweise nicht um die Lärmbelastung kümmert.

Der Hörtest als Grundlage

Kaum jemand lässt ohne Anlass einen Hörtest anfertigen. Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass wir uns erst dann um das Gehör kümmern, wenn etwas im Argen liegt. Und so bleibt das Gros der Menschen im Unklaren darüber, wie es um die eigene Hör­fähigkeit bestellt ist. Doch das ändert sich jetzt innerhalb von wenigen Minuten – und ohne dass ein Termin bei einem Spezialisten vereinbart werden muss.
Bild 5: Der Hörtest bildet die Grundlage für die weiteren Anpassungen
Quelle: PCtipp.ch
Um den Hörtest zu starten, öffnen Sie die Einstellungen der AirPods Pro. Tippen Sie im neuen Bereich Hörgesundheit auf Hörtest machen, Bild 5. Der folgende Test ist ein Selbstläufer, indem der Assistent schrittweise durch den Prozess führt: zuerst beim linken, danach beim rechten Ohr. Dabei muss lediglich auf das Display getippt werden, wenn ein Ton wahrgenommen wird, Bild 6. Jede Frequenz wird dreimal abgespielt und es bleibt genügend Zeit, um die Sache ganz entspannt anzugehen. Am Schluss wird das Audiogramm angezeigt und verschlüsselt in der Health-App gespeichert, damit es später zu Vergleichs­zwecken hinzugezogen werden kann, Bild 7.

Die Anpassungen

Damit ist das Fundament gelegt, doch der kniffelige Teil kommt noch: Jetzt muss ausgelotet werden, welche Einstellungen am besten zu den eigenen Bedürfnissen passen.
Bild 6: Auf den Bildschirm tippen: Das ist auch schon alles
Quelle: PCtipp.ch
Bild 7: Apples Hörtest resultiert in einem individuellen Audiogramm
Quelle: PCtipp.ch
Öffnen Sie zuerst die Einstellungen der AirPods Pro und anschliessend den Bereich Hilfe beim Hören. Überzeugen Sie sich, dass die Option Hörgerät aktiviert ist. Schliessen Sie die Einstellungen.
Bild 8: Die wichtigsten Einstellungen erreicht man über das Kontrollzentrum
Quelle: PCtipp.ch
Für die Anpassungen, die Sie in der ersten Zeit immer wieder bemühen werden, ziehen Sie am iPhone das Display von rechts oben nach unten, um das Kontrollzentrum zu öffnen. Drücken Sie etwas länger auf die Schaltfläche für die Höreinstellungen, Bild 8. Jetzt öffnen sich die Einstellungen, die mit der Hörgerätfunktion in direktem Zusammenhang stehen. Einige erscheinen ausserdem nur, wenn Musik abgespielt wird.
● Transparenzmodus: Wenn die AirPods Pro als Hörgerät im Alltag verwendet werden sollen, tippen Sie ganz oben auf Transparenzmodus, Bild 9 A – also anstelle der Telefonie oder des Medienkonsums wie Videos oder Musik.
● Verstärkung: Wie der Name schon sagt, definiert die Verstärkung B, wie stark die Umgebungsgeräusche angehoben werden. Das ist besonders hilfreich in Situationen, in denen die gesamte Geräuschkulisse wahrgenommen werden soll. Leise Umgebungsgeräusche werden stärker betont.
Bild 9: Es braucht etwas Zeit, um für sich die besten Einstellungen zu finden
Quelle: PCtipp.ch

● Umgebungsgeräuschreduktion: Diese Einstellung C nutzt die aktive Geräuschunterdrückung (ANC) der AirPods Pro, um die Umgebung zu dämpfen oder sogar vollständig zu eliminieren. Damit wird eine ruhige Atmosphäre geschaffen, die es einfacher macht, sich auf Musik oder Anrufe zu konzentrieren.
● Konversationsverstärkung: Diese Funktion D verstärkt gezielt Stimmen in der Nähe und hilft dabei, Gespräche besser zu hören – selbst in einer lauten Umgebung. Sie nutzt die Mikrofone der AirPods Pro, um Stimmen von Personen herauszufiltern und deutlicher zu machen, während Hintergrundgeräusche reduziert werden.

Wechselwirkungen

Die Kunst besteht nun darin, für sich selbst die besten Einstellungen zu finden – und ein Gespür dafür zu entwickeln, in welchen Situationen eine Einstellung am besten funktioniert. Denn Interessenskonflikte sind unvermeidlich. So arbeiten die Funktionen Verstärkung und Umgebungsgeräuschreduktion gegeneinander und es wäre sinnlos, sie beide zu maximieren. Dasselbe gilt für Umgebungsgeräuschreduktion und Konversationsverstärkung: Wenn zweitere besonders wichtig ist, etwa an einem geselligen Abend, sollte die Geräuschunterdrückung zurückgefahren oder deaktiviert werden. Deshalb sind die Gewöhnungszeit und die Lernkurve nicht zu unterschätzen. Tatsächlich bieten die AirPods Pro noch viele weitere Einstellungen ausserhalb des Kontrollzentrums, mit denen man sich aktiv auseinandersetzen sollte.

Praktische Erfahrungen

Meine Welt klingt jetzt ganz anders. Damit ist nicht gemeint, dass ich nun Töne wahrnehme, die vorher verschollen waren. Schliesslich ist ein Hörverlust irreversibel. Vielmehr verhält es sich so, dass die Geräuschkulisse nicht nur verständlicher, sondern je nach Einstellung sogar überkompensiert wird.
Dazu gehören normale Geräusche wie das Tippen auf der Tastatur, die plötzlich überlaut vor sich hin klackert. Selbst ein Kratzen an der Schulter führt mit übertriebenen Einstellungen zu einem kleinen Spektakel. Und der Hund im Wohnzimmer spielt nicht die Kastagnetten; ihm müssten nur die Krallen gestutzt werden.

Gespräche

Doch wenn das Gehör nachlässt, steht vor allem der Wunsch nach einem besseren Verständnis von Gesprächen im Mittelpunkt. Und hier liefern die AirPods Pro! Die Funktion Konversationsverstärkung macht ihrem Namen alle Ehre und sorgt für ein deutlich besseres Verständnis des Gegenübers. In meiner Wahrnehmung wurde das Ergebnis im Transparenzmodus zusätzlich verbessert, indem die Einstellung Ton E etwas zurückgenommen wird.
Einige Träger werden sich vielleicht auch daran gewöhnen müssen, dass die eigene Stimme je nach Einstellung deutlich verstärkt wahrgenommen wird – was in der ersten Zeit überkompensiert wurde, indem ich meine Lautstärke senkte. Und so musste mich meine Frau zuweilen ermahnen, etwas lauter zu sprechen. Aber vielleicht braucht sie auch nur einfach ein Hörgerät.

Keine Apple Watch

Das Einzige, was die Freude trübt, ist die fehlende Integration der Apple Watch. Was wäre einfacher, als die Konversationsverstärkung durch ein diskretes Drehen an der digitalen Krone anzupassen? Das stört umso mehr, weil diese vertiefte Integration genau das ist, was man von Apple eigentlich erwartet. Aber das wird vermutlich in naher Zukunft nachgereicht. Bis dahin bleibt nur, das iPhone hervorzukramen und die Einstellungen im Kontrollzentrum zu justieren. Diese Ausflüge werden jedoch seltener, wenn man seinen Stil erst einmal gefunden hat.

Fazit: Experimentieren Sie

Die AirPods Pro lassen sich so nehmen, wie sie von Apple nach dem Test voreingestellt wurden – aber das heisst nicht, dass sie optimal zu den persönlichen Bedürfnissen und Vorlieben passen. Ohne ein gewisses Engagement und etwas Experimentierfreude seitens des Trägers wird viel Potenzial verschenkt. Damit unterscheiden sie sich fundamental von einem klassischen Hörgerät, das von einem Spezialisten angepasst wird und anschliessend so hingenommen werden muss.
Doch davon abgesehen wirken die neuen Funktionen wie ein Durchbruch bei diesem ungeliebten Thema. Jeder kann sich jetzt im stillen Kämmerlein um sein Gehör kümmern, Bild 10: frei von Hemmungen, Besuchen beim Spezialisten, Konkursängsten und der allgemeinen Unlust, sich damit zu beschäftigen. Und wenn das Gehör tatsächlich etwas nachgelassen hat, liegt die Lösung wortwörtlich auf der Hand. Oder es stellt sich sogar die Erkenntnis ein, dass es noch zu früh für ein Hörgerät ist.
Bild 10: Jetzt können Sie selbst testen, ob Ihr Gehör nicht mehr auf der Höhe ist
Quelle: Shutterstock/Kittyfly
Das einzige milde Problem der Apple-Kopfhörer als ständiger Begleiter liegt in der Gesellschaft, weil die AirPods Pro seit jeher als Geräte zur Abschottung und für die Musikwiedergabe geschätzt werden. Wer sie zum ersten Mal bei einem Gespräch trägt, sollte vielleicht in einem Satz erklären, dass das Tragen keine Respektlosigkeit darstellt, sondern das Gegenteil davon: eine Möglichkeit, sein Gegenüber besser zu hören, um die Kommunikation deutlich zu optimieren.



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