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27.05.2016, 10:08 Uhr
Warum sich Virtual Reality noch nicht lohnt
Ist VR das nächste grosse Ding? Mitnichten. Es gibt mindestens vier Gründe, warum Virtual Reality noch länger ein Nischendasein fristen wird.
Mit den ersten VR-Brillen von Oculus und HTC hat die Zukunft der virtuellen Realität gerade erst begonnen. Keine Frage: Auch wenn die Technik noch in den Kinderschuhen steckt, macht es jetzt schon eine Menge Spass, in einem Spiel wie «Time Machine VR» mit einem Unterseeboot prähistorische Riesenviecher zu erkunden und sich dabei fast so schwerelos zu fühlen, als schwebe man selber im Wasser. Die vollständige 3D-Umgebung kann eine gewaltige Immersion bewirken. Das lässt sich nur schwer beschreiben, wenn man es noch nie selber probiert hat. Auch der Autor zählt sich zu jener Gattung Menschen, die das neuste Tech-Spielzeug, namentlich die HTC Vive, gleich vom ersten Tag an haben mussten. Jedoch: Trotz aller Euphorie in den ersten VR-Cybergefechten und trotz vieler Ohs und Ahs begeisterter Kollegen muss Virtual Reality erst einmal richtig in Schwung kommen. Hier die vier Gründe, warum sich Virtual Reality im Moment noch nicht wirklich lohnt. Oder: Warum man auch geradesogut noch ca. ein Jahr warten könnte, wenn es Immersion par Excellence sein soll.
Auflösung noch immer nicht gut genug
Mit einer HTC Vive und einer Oculus Rift ist die Auflösung noch immer zu niedrig. Sowohl die Oculus Rift als auch HTCs VR-Brille verwenden OLED-Panels mit einer Gesamtauflösung von 2160 x 1200 Pixeln, das heisst: 1080 x 1200 pro Auge. Die rechenintensiven Bildwiederholraten mit 90 Hz sind dank schneller Grafikkarten heutzutage zwar hoch. Betrachtet man aber Details aus nächster Nähe, fallen diese noch immer zu rasterig und zu verschwommen aus. Mit den feinen Rillen der Linsen gibt es noch ein weiteres Problem: Je nach Lichteinfall und Bewegung können gelegentlich feine Lichtschimmer den Blick trüben. Zwei Tricks gibt es: Das Headset sollte nicht zu lose vor den Augen sitzen, und man kann den Raum etwas abdunkeln. Dennoch nervt es, selbst bei kleineren Kopfbewegungen Unschärfen in Texturen wahrzunehmen. Bei raschen Hell-Dunkel-Übergängen stören bei der Vive gelegentlich rauschende Pixel. Die nächste Grafikkartengeneration verspricht aber schon einiges und wird einzelne Bildbereiche schneller und unabhängiger voneinander auf zwei Displays darstellen. Trotzdem muss zuerst die Auflösung der Headset-Displays besser werden.
Und wie soll das erst mit Smartphones besser werden? Schaut man sich ein YouTube-Video mit Googles Cardboard-Lösung an, wird schnell klar: Es ist höchste Zeit für einen Standard, wie ihn Google nun mit seiner VR-Plattform Daydream geschaffen hat. Die Spezifikation auferlegt schnellen Handys eine Mindestanforderung, um eine minimale Latenz zu garantieren. Damit ist aber ein Problem noch nicht aus der Welt geschafft: die Grafik-Power. Ob die neue Vulkan-Grafikschnittstelle Besserung gelobt, wissen wir noch nicht. Und selbst wenn: Wie sieht es dann mit dem Akkuverbrauch aus? Einem leistungsstarken Galaxy S6 geht aufgrund der immens hohen Rechenleistung schon nach zwei Stunden die Puste aus, und das Smartphone kann dabei sehr warm vor den Augen werden.
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VR ist (noch) zu teuer
VR ist (noch) zu teuer
Die HTC Vive ist mit 1070 Franken (inklusive Zoll und Liefergebühren) die derzeit teuerste VR-Lösung. Eine ganze Stange Geld. HTC hat zwar eine Partnerschaft mit Valve, und Oculus kann schon länger auf eine breite Entwickler-Community zählen. Dazu müssen sich aber erst einmal die Kosten bei der Software wieder einspielen. Auf Steam fehlte jedenfalls ein wirklicher Kracher zum Start. Viele der mittlerweile über 200 Steam-Titel haben noch Demo-Charakter und laden selten zu mehrstündigen Spielerlebnissen ein. Und genau hier liegt das Problem: Wenn es schon schwierig genug ist, eine teure VR-Brille an gut betuchte PC-Spieler zu bringen, muss mindestens die Software den nötigen Ertrag abwerfen. Erschwerend kommt dazu, dass Steam von den Game-Entwicklern eine Distributionsgebühr von 10 Prozent verlangt. Und wer gehört eigentlich zur Hauptzielgruppe der ausgabefreudigen Spieler? Zocker, die VR auf höchstem Niveau geniessen wollen, benötigen einen High-End-PC mit einer schnellen Grafikkarte. Ob sich jemand den Spass trotz schneller Hardware überhaupt schon leisten möchte, ist die andere Frage.
Kurz: Um die Virtual Reality an die Frau und an den Mann zu bringen, muss noch einiges passieren. Zuerst müssen die Spiele rentieren. Erst dann werden die ersten VR-Brillen günstiger. Eine Wende könnte im Herbst eintreten. Spätestens dann will Sony mit seiner günstigeren PlayStation-VR-Brille den Markt betreten. Eine PlayStation 4 haben sehr viele Spieler weltweit zuhause. Trotz der etwas rückständigen Technik wird mit Sicherheit etwas passieren: VR wird zum ersten Mal massentauglich. Welchen Impact das auf die PC-VR-Brillen hat, wird sich zeigen, aber eines ist sicher: Die teuren VR-Lösungen von HTC und Oculus müssen bis dahin rentiert haben. Sonst wird es nicht so schnell von denselben Herstellern ein Nachfolge-Headset geben.
Sieht dämlich aus
Mark Zuckerberg schwebt bereits die Vision einer VR-Brille vor, die in einigen Jahren so dünn ist wie eine normale Korrekturbrille. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Einen Kasten auf der Nase zu tragen, sieht einfach nicht schick aus. Stöpselt man dann noch Kopfhörer ein, hat man bei HTCs Lösung wirklich einen Kabelsalat um die Ohren, mit dem man sich in hitzigen Gefechten fast erwürgen könnte. Die Oculus Rift hat hier mit seinem einfacheren Konzept ein paar Vorteile. Das Headset ist wesentlich kompakter. Dessen hochwertige 3D-Surround-Kopfhörer sind dort als ausklappbare Lösung integriert. HTC liefert für sein Roomscaling-Erlebnis mit den Lichtsensoren nicht weniger als vier Netzteile mit, damit die Laser-Tracker mit Strom versorgt sind und die Controller zwischendurch wieder aufgeladen werden können. Das sind einfach ein paar Netzteile zu viel.
Datenschutz- und Lieferprobleme
Die Oculus Rift war schon seit seiner Kickstarter-Kampagne das bekannteste VR-Headset überhaupt. Als das ehemalige Start-up «Oculus VR» für zwei Milliarden Dollar von Facebook gekauft wurde, kamen erste Zweifel auf: Die Rift war immer aufs Gaming bedacht und es war zunächst nicht ganz ersichtlich, ob das soziale Netzwerk eine andere Kursrichtung einschlagen will. Mark Zuckerberg hat jedoch bestätigt, das Headset weiterhin zu einer primären Gaming-Plattform auszubauen. Dasselbe hat später auch Palmer Luckey, Erfinder und CEO von Oculus, versichert. Für Schlagzeilen sorgte die fertige Consumer-Version mit den umfangreichen Endnutzerbestimmungen. Wer mithilfe der Rift Inhalte oder Werke produziert und den Nutzungsbedingungen zustimmt, überlässt Oculus bzw. Facebook zahlreiche Rechte. Zudem kann die Facebook-Brille sämtliche Daten sammeln, die bei der Interaktionen eines Nutzers mit den Diensten des Unternehmens anfallen. Etwa Informationen über Spiele, Kopfbewegungen, Informationen über die verwendeten Geräte, über das Betriebssystem und die IP-Adresse. Auf jeden Fall haben medial aufgegriffene Diskussionen vom Reddit-Forum und weitere Auslieferungsverzögerungen dem Ruf der Oculus-Brille mehr geschadet als genützt.
Fazit
Der Kinderschuh drückt bei den High-End-Brillen noch an vielen Stellen. Nebst fehlender Toptitel können noch die einen oder anderen Software-Updates kleinere Bugs bei der Software beheben, um die Plattformen noch attraktiver zu machen. Ein gutes Beispiel dafür ist die fehleranfällige Steam-VR-Software. Vor allem eines braucht es: mehr qualitativ hochwertige Spiele. Vielleicht passiert das erst, wenn Sony im Herbst seine eigene VR-Brille lanciert. Da auch Google bis dann mit seiner mobilen VR-Plattform in den Startlöchern steht, könnten die einen oder anderen Entwickler stärker auf Mobile Gaming und PlayStation fokussieren. Denn da spielt die Masse. Es dürfte daher kaum ein Jahr dauern, bis im PC-Bereich schon wieder die nächste Generation an VR-Headsets vor der Tür steht. Hoffentlich dann mit weniger Kabeln.
Autor(in)
Simon
Gröflin
01.06.2016