Historisches
06.08.2021, 07:55 Uhr
Die neue Angst vor dem Blocksatz
Anfang der 1990er ging in modernen Schweizer Büros die Angst um. Nicht vor Jobverlust durch Computer, sondern wegen der Befürchtung, den PC nicht beherrschen zu können.
In Schreibstuben mussten Dutzende Handbücher studiert werden, um eine Textverarbeitung zu beherrschen
(Quelle: NMGZ Archiv/Peter Heuss)
Textverarbeitungsprogramme waren vor 30 Jahren die am weitesten verbreiteten Software-Lösungen auf Schweizer Personalcomputern. Das sollte sich in den folgenden fünf Jahren nicht ändern, prognostizierten die Marktforscher von IDC 1991 an der ersten «Schweizer PC-Konferenz» in Kloten. «Allerdings wird das Umsatzvolumen für klassische PC-Standard-Software im Jahre 1996 um 23 Prozent niedriger liegen als 1991», liess sich IDC-Analyst Martin Milautzcki von Computerworld zitieren. Als Gründe führte er die dann zu erwartende Marktsättigung bei gleichzeitig hohem Wettbewerbsdruck an. Weiter erwartete der IDC-Experte, dass die Preise auf US-Niveau fallen würden.
Ein Blick ins Archiv der Marktforscher von Dataquest zeigt, dass Milautzcki und seine IDC-Kollegen sich nicht mehr hätten irren können. Der Weltmarkt für Office-Software wuchs auch 1995 noch um 57,5 Prozent. Er war mittlerweile 3,0 Milliarden US-Dollar schwer, wovon Microsoft allein 2,7 Milliarden umsetzte. Excel, PowerPoint, Word & Co. besassen einen Marktanteil von 89,4 Prozent. Das gerade von IBM übernommene Lotus 1-2-3 musste sich mit 7,1 Prozent begnügen, das neu von Novell vertriebene WordPerfect kam nur noch auf 3,6 Prozent. 1991 waren Lotus und WordPerfect noch die Marktführer bei Tabellenkalkulationen respektive Textverarbeitungen. Für die Programme wurden jeweils Preise jenseits der 1500 Franken aufgerufen.
«Sie kann zu viel»
Für den Preis wurde den Anwendern im modernen Büro des Jahres 1991 eine ganze Menge an Funktionalität geboten, konstatierte unser Schwestermedium Computerworld damals. Nach einem Test der gerade in der Schweiz neu lancierten Textverarbeitungs-Software Word für Windows kritisierte die Zeitung: «Sie kann zu viel.» Die Programmierer hätten versucht, alle möglichen Eventualitäten, die beim Erstellen eines Dokuments auftreten können, mit ihren Produkten abzudecken. Das Windows-Programm sei nicht mehr zeichen-, sondern grafikorientiert, was ungeahnte Möglichkeiten in der Gestaltung von Dokumenten eröffne. Dies könne «leider» nur von einem Bruchteil der Anwender wirklich sinnvoll eingesetzt werden, bemängelte die Zeitung. «Für den grossen Rest bedeutet es in den meisten Fällen überhöhte Komplexität, die nicht einfach zu bedienen ist und die unter Umständen einer Sekretärin einfach Angst macht.»
Computerworld-Redaktorin Silvia Schorta wollte mit dem Test «speziell aus Anwenderinnen-Sicht» Sekretärinnen vor einer möglichen Überforderung bewahren. Das Protokoll zu Microsoft Word für Windows gibt einen amüsanten Einblick in Schweizer Büros anno 1991.
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