News 19.09.2011, 07:44 Uhr

«Swisscom steckt im Dilemma»

Der eidgenössische Telekom-Platzhirsch legt die Kooperationsverträge für den Glasfaserausbau auf Eis. PCtipp.ch hat beim Schweizer Telekom-Spezialisten Ralf Beyeler von Comparis.ch nachgefragt, was dies für die Zukunft der Hochgeschwindigkeitsnetze bedeutet.
PCtipp.ch: Wie beurteilen Sie den jüngsten Schritt der Swisscom, die Kooperationsverträge für den Ausbau im Glasfasernetz zu sistieren?
Ralf Beyeler: Swisscom ist im Dilemma. Das Unternehmen muss unbedingt rasch Glasfaseranschlüsse bis in die Häuser bauen. Die Kabelnetzbetreiber - darunter Mitbewerber Cablecom - haben derzeit noch ein wesentlich leistungsfähigeres Netz, das für die heutigen Bedürfnisse ausreicht. Das herkömmliche Swisscom-Netz kann mit den Geschwindigkeiten aber nicht mehr mithalten.
PCtipp.ch: Halten Sie es vor diesem Hintergrund für realistisch, dass Swisscom tatsächlich 40 Prozent weniger Glasfaserausbauten durchführen wird, wie es CEO Carsten Schloter verlautbart hat?
Beyeler: Aufgrund der starken Wettbewerbssituation durch die Kabelnetze kann ich nicht glauben, dass Swisscom wie angekündigt nur noch 60 Prozent der geplanten Ausbauten vornehmen wird. Swisscom wird das Netz wegen den Kabelnetzbetreibern sehr schnell ausbauen und dafür rasch viel Geld investieren müssen. Ich könnte mir vorstellen, dass der Telko mit der heutigen Kommunikation versucht, die politische Meinung zu beeinflussen und die Kooperationen doch noch zu retten.
PCtipp.ch: Swisscom setzt beim Glasfaserausbau bisher auf die Zusammenarbeit mit diversen Schweizer Elektrizitätswerken (EW). Inwiefern macht das für die Unternehmen Sinn?
Beyeler: Die Kooperation war aus Swisscom-Sicht sehr vorteilhaft. Swisscom hat auf dem Vier-Faser-Modell bestanden, dadurch sind auch die Kosten gestiegen. Die EW finanzieren durch die Zusammenarbeit aber die Hälfte des Netzes.
PCtipp.ch: Welche Konsequenzen hat das Vier-Faser-Modell für die Elektrizitätswerke?
Beyeler: Wegen den Mehrkosten für das Vier-Faser-Modell müssen die Elektrizitätswerke höhere Gebühren verlangen und können damit kostenmässig weniger stark mit den Kupferleitungen der Swisscom mithalten. Oder aber die Elektrizitätswerke verzichten auf Marge, verdienen also weniger.
PCtipp.ch: Was bedeutet die Sistierung durch Swisscom für die Kooperationen mit den jeweiligen Elektrizitätswerken?
Beyeler: Es besteht eine gewisse Gefahr, dass die Swisscom und die EW getrennt bauen. Dabei wird sich Swisscom auf die interessantesten Stadtgebiete beschränken und auch bei den EW besteht eine solche Gefahr. Man muss aufpassen, dass man nicht in der Innenstadt ein doppeltes Netz baut, dafür aber in den äusseren Wohnquartieren weiterhin keine moderne Technik zur Verfügung stellt.
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Wie geht es nun mit dem Glasfaserausbau weiter?

PCtipp.ch: Wie sollten sich die Elektrizitätswerke Ihrer Meinung nach nun verhalten?
Beyeler: Die EW sollten den Mut haben, das Vier-Faser-Modell endlich zu kippen.
PCtipp.ch: Warum sollte man dieses Modell begraben?
Beyeler: Heute werden pro Haus jeweils vier Glasfaserleitungen in alle Haushalte verlegt. Zwischen den Häusern und den Telefonzentralen sind die Kabel ebenfalls viermal vorhanden. Paradoxerweise werden aber nur zwei dieser vier Kabel so verlegt, dass man darüber auch Daten übertragen kann. Die anderen beiden Kabel werden zwar verlegt, sind aber nicht miteinander verbunden. Wenn man dieses tote Kabel in Zukunft nutzen möchte, muss man sie zuerst miteinander verbinden - das heisst spleissen.
PCtipp.ch: Was wohl mit zusätzlichen Kosten verbunden wäre?
Beyeler: Ja, aber es ist auch fraglich, ob irgendwann jemand die dritte oder vierte Faser der Swisscom oder dem Elektrizitätswerk abkaufen will. Denn das Mieten der Faser dürfte für einen kleineren Anbieter wesentlich interessanter sein.
PCtipp.ch: Was wäre denn die Alternative zum Vier-Faser-Modell?
Beyeler: Man sollte stattdessen eine Faser verlegen, die man als unbeleuchtete, nackte Faser an Service Provider - inklusive Swisscom - verkaufen kann. Swisscom würde dann ziemlich sicher diese Dienstleistung auch einkaufen, weil es immer noch besser ist, als Kunden an Cablecom zu verlieren. Derzeit wehrt sich Swisscom allerdings vehement gegen ein solches Modell.
PCtipp.ch: Der Verband ICTswitzerland möchte, dass die Weko eine Lösung bietet, die den gegenwärtigen Blockadezustand auflöst. Wie könnte solch eine Lösung Ihrer Meinung nach aussehen?
Beyeler: Meiner Ansicht nach müsste man sich jetzt ernsthaft überlegen, eine unabhängige Gesellschaft gründen, die den Glasfaserausbau übernimmt und nur eine Faser verbaut. Bei solch einem Modell wären natürlich auch mehrere regionale Gesellschaften denkbar.
PCtipp.ch: Wer soll das alles bezahlen?
Beyeler: Die Finanzierung könnten durchaus Swisscom, regionale Elektrizitätswerke und eventuell auch Dritte sicherstellen.
PCtipp.ch: Wie wird es Ihrer Einschätzung nach nun mit dem Glasfaserausbau in der Schweiz insgesamt weitergehen?
Beyeler: Die Politik muss die Führung übernehmen und eine echte Glasfaserstrategie erarbeiten. Obwohl das Internet heute sehr wichtig ist, ist es leider so, dass dessen Ausbau keine grosse Bedeutung hat. Da Swisscom nun weniger Haushalte anschliessen möchte, werden die Elektrizitätswerke in die Bresche springen. Viele EW sind im Besitz der öffentlichen Hand, die einen schnellen Internetzugang oftmals als Standortvorteil sieht. Es könnte paradox sein, aber vielleicht wird dann das Glasfaserinternet in Vorortgemeinden schneller ausgebaut, weil Swisscom selbst nicht mitmacht und örtliche EW so alleine bauen können.
Ralf Beyeler ist als Telekom-Experte beim Schweizer Onlinevergleichsdienst Comparis.ch tätig.



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