Kommentar
26.05.2006, 11:45 Uhr
Das Freitagsbit: Die Verbrechergrenze
Die WWKolumne
Frohe Kunde für die Lausbuben: Wenn ich am Kiosk einen Kaugummi klaue, dann geht das in Ordnung. Lasse ich die ganze Kaugummi-Auslage mitgehen, bin ich schwerst kriminell. Das ist die Botschaft der deutschen Justiz, die unter Mithilfe der privaten Organisation der Entertainmentindustrie Verfahren gegen 3500 eDonkey-Nutzer eröffnet [1] und 130 Hausdurchsuchungen durchgeführt hat.
Heise online zitiert den zuständigen Staatsanwalt [2], nur bei mehr als 500 angebotenen Dateien seien Hausdurchsuchungen angeordnet worden. Somit dürften schätzungsweise bei weniger als 100 Dateien im Tauschordner höchstens die Herzen der IFPI-Leute rasen, die Ermittler aber bloss müde mit den Schultern zucken.
Die Industrie, die den Schlag durch ihre Argumentation und Geisteshaltung mit dem Ausheben einer mafiösen Raubkopiererbande gleichsetzt, hilft damit, die Verbrechergrenze nach unten zu schieben. Sie nimmt mehrheitlich Menschen ins Visier, die im realen Leben wohl ein Bewusstsein für Recht und Unrecht, im Internet aber, in ihrem virtuellen Leben, Mühe damit haben. Die Maus ist eben keine Räuberpistole.
Leider sind die Entertainer nicht allein in ihrem Bestreben, jeden zum potenziellen Verbrecher zu machen. Was fühle ich, wenn ich in einen Bus steige und dabei von einer Videokamera erfasst werde? Das Misstrauen des Verkehrsbetriebes. Ich könnte ja ein Vandale sein. Was denke ich, wenn dereinst meine Fingerabdrücke registriert, mein Foto in einer staatlichen Datenbank liegt? Zum Glück sieht mein Charakterkopf keinem ähnlich, der gerade ein richtiges Verbrechen plant.
Vielleicht eröffnen sich durch die ganzen Tauschbörsen-Razzien auch neue Chancen. Wenn ich mal knapp bei Kasse bin, werde ich wohl ein paar Banken überfallen. Und in jeder nur 100 Franken kassieren. Ist ja kein Verbrechen. Das Problem dabei ist nur: Wie schlage ich die Zeit tot, bis ich in der Warteschlange der Rogerstaubmützen-Träger an die Reihe komme?
A propos: Ist Zeit tot schlagen ein Verbrechen? Eine Gefahr für Swatch?
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