Punkt 6 26.10.2020, 11:59 Uhr

Test: Apple Watch 6

Die Apple Watch 6 repräsentiert ein neuer Höhepunkt, bemuttert ihren Besitzer und versinkt so ganz nebenbei in der Vielfalt der Funktionen.
Die Apple Watch hat viele Gesichter
(Quelle: Apple Inc.)
Das einzige Objekt, das ich ein paar Sekunden länger trage als die Apple Watch, ist die Brille. Die smarte Uhr von Apple ist längst zum unverzichtbaren Begleiter geworden – und daran wird die neue Series 6 natürlich nichts ändern. Sie kommt neu in den Farben Blau und PRODUCT(RED) – und das ist auch gut so, denn äusserlich ist sie sonst kaum vom Vorgänger zu unterscheiden. Stattdessen spielen sich die Änderungen weitgehend im Inneren ab: zum einen beim Prozessor, zum anderen bei der Software.
Und eben diese Software wurde deutlich aufgestockt, wobei die Gesundheit und Sport weiterhin im Mittelpunkt stehen. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass der Funktionsumfang unterdessen aus allen Nähten platzt. Das hat wiederum Konsequenzen für Einsteiger in dieses spannende und vielschichtige Thema, denn es braucht seine Zeit – viel Zeit! –, um die für sich wichtigen Funktionen zu entdecken.
Die Einstellungen werden zumeist in der iPhone-App konfiguriert – und sie scheinen endlos
Quelle: PCtipp.ch
Was hingegen fehlt, ist die «Force Touch»-Einrichtung, bei der etwas stärker auf die Anzeige gedrückt wird, um zum Beispiel das Zifferblatt zu modifizieren. Stattdessen wird der Finger einfach ein wenig länger auf die gewünschte Stelle gedrückt. So hätte es schon immer sein sollen, denn das druckempfindliche Display der Vorgänger erzeugte keinen richtigen Mehrwert, sondern nur weisse Fingerkuppen.

Neue Sensoren und Messungen

Bei den Gesundheitsfunktionen stehen zwei Neuerungen an: Die Messung des Blutsauerstoff-Gehalts und die Auswertung des Schlafes.
Der Wert der Sauerstoffsättigung (SpO2) liegt bei gesunden Menschen üblicherweise in einem Bereich zwischen 90 Prozent und 99 Prozent. Er zeigt an, wie gut die roten Blutkörper mit Sauerstoff versorgt sind. Während der Messung jagen die LEDs auf der Rückseite rotes und infrarotes Licht durch die Haut. Die Fotodioden erfassen das reflektierte Licht, um die Farbe des Blutes zu bestimmen. Die Farbe wiederum lässt Rückschlüsse auf den Sauerstoffgehalt zu: hellrotes Blut ist stärker gesättigt, als dunkelrotes.
Die Animation zur Sauerstoffmessung des Blutes ist vom Feinsten; aber die Sinnfrage bleibt unbeantwortet
Quelle: PCtipp.ch

Ein Algorithmus verwendet diese Daten anschliessend, um dem Sättigungsgrad abzuleiten. Wenn die Sauerstoffsättigung zu niedrig ist, sollten Sie mit einem Arzt sprechen – oder zumindest steht das im Internet. Denn die Aussagen von Apple sind so unverbindlich, dass sich die Frage stellt, wozu die Messung überhaupt gut sein soll: Offenbar dienen sie (O-Ton Apple) «lediglich der Nutzung zu Zwecken im Zusammenhang mit der allgemeinen Fitness und dem allgemeinen Wohlbefinden».

Schlaftracking, saubere Pfoten und «Ja, Mami!»

Die Überwachung des Schlafes war eine Funktion, die immer wieder (und immer lauter) von vielen Anwendern herbeigesehnt wurde. Mit watchOS 7 wird sie nun endlich real, aber auf einem eher bescheidenen Niveau. So werden zum Beispiel keine Schlafphasen protokolliert. Stattdessen werden eher die vorbereitenden Massnahmen ergriffen: Das Display wird abgedunkelt und gesperrt. Auf Wunsch wird daran erinnert, die Batterie rechtzeitig zu laden. Und irgendwann meldet sich die Apple Watch mit der Mitteilung, dass jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, um an der Matratze zu horchen.
Mehr Einstellungen zum Thema gibt es dann in der Health-App, wo zum Beispiel die Dauer des Schlafes definiert wird. Dabei soll es gemäss Apple einfacher werden, die eigenen Schlafgewohnheiten zu kontrollieren. Ich muss allerdings gestehen, dass ich diese Funktion nicht im Detail getestet habe. Die Apple Watch im Bett zu tragen ist für mich genauso angenehm, wie jemand, der mir alle zwei Minuten auf die Stirn tippt, um zu sehen, ob ich noch wach bin. Es fühlt sich einfach unfein an. Und so ganz nebenbei stellt sich die Frage, wann schlafen eigentlich so kompliziert geworden ist.
Das Schlaftracking hat noch Luft nach oben
Quelle: PCtipp.ch
Ebenfalls neu ist der Handwasch-Timer, der dank watchOS 7 auch auf den älteren Modellen funktioniert: Die Apple Watch erkennt zuverlässig, wenn die Hände gewaschen werden und blendet einen Timer ein, der von 20 Sekunden runterzählt. Werden die Hände bis Null gewaschen, gibt es ein Lob von der Uhr. Ich habe den Timer allerdings nach kurzer Zeit deaktiviert, weil ich sowieso nur um Home-Office arbeite. Vor allem aber wollte mich die Apple Watch auch dann motivieren (oder erziehen?), wenn beim Kochen nur schnell die Finger unter fliessendem Wasser Finger entfettet werden sollten.
Ein Lob ist immerhin ein Lob – auch wenn es von einer Uhr kommt
Quelle: PCtipp.ch

Überhaupt sollte jeder Apple-Watch-Einsteiger nach der ersten Woche ein Marschhalt einlegen und prüfen, welche Hinweise für ihn tatsächlich sinnvoll sind. Wenn mich die Apple Watch beim Händewaschen kontrolliert, beim Spaziergang mit dem Hund ungefragt anfeuert oder mich zur vereinbarten Zeit ins Bett schicken will, dann fehlt eigentlich nur noch die Ermahnung, mein Zimmer aufzuräumen und die Zähne zu putzen – und dafür fühle ich mich ein paar Wochen zu alt. Aber all das lässt sich zum Glück in den Einstellungen granular festlegen.

Gute Gefühle kann man kaufen

Geblieben sind jene Funktionen, die je nach Situation unbestritten nützlich bis lebensrettend sind. Dazu zählt das bestens eingeführte, einkanalige EKG oder die Sturzerkennung mit Notruf-Funktion. Vor allem aber überwacht die Apple Watch seit Series 4 den Herzrhythmus und schlägt Alarm, wenn es Anzeichen von Vorhofflimmern gibt, der häufigsten Form von unregelmässigem Herzrhythmus. Unbehandelt ist Vorhofflimmern eine der häufigsten Erkrankungen, die zu einem Schlaganfall führen können.
Natürlich hoffen wir alle, dass diese Funktionen in der dunkelsten Ecke der CPU vor sich hinvegetieren und nie zum Einsatz kommen. Aber dass sie vorhanden sind und unbemerkt im Hintergrund ihrer Arbeit nachgehen, vermittelt ein sehr gutes Gefühl.

Batterielaufzeit

Bei manchen Anwendern hält die Batterie einen Tag, in wohl eher seltenen Fällen sogar zwei. Das hängt allein von der Art der Nutzung ab. Ich verwende die Apple Watch in erster Linie für die Anzeige von Informationen und Benachrichtigungen, aber nicht für Sport und ähnlichen Unfug, der eine kontinuierliche Messung bedingt oder das GPS-Modul ständig beansprucht. Und so attestiert die Batterieanzeige am Ende des Tages eine Restladung von etwa 50 Prozent bis 60 Prozent. Wer die Apple Watch auch zur Schlafmessung einsetzt, lädt sie vor dem Einschlafen für eine halbe Stunde oder mehr, um sicherzugehen.
Apropos Laufzeit: Der etwas spezielle, magnetische Ladeadapter gehört natürlich zum Lieferumfang. Ein Netzteil hingegen nicht. Apple verwendet bei der Apple Watch einen USB-A-Anschluss, sodass es kein Problem sein sollte, im Haushalt ein überzähliges Netzteil zu finden. Die neuen iPhones werden jedoch über USB-C mit dem Netzteil verbunden; hier hätte ich mir von Apple ein konsequentes Vorgehen bei der Ausmerzung der antiquierten USB-A-Stecker gewünscht.

Farbe, Ausführung und Verbindung

Und dann stellt sich noch die Frage, welche Farbe es sein soll. Beim Testgerät handelte es sich um die blaue Ausführung aus Aluminium. Alternativ gibt es die Alu-Watch in Silber, Gold, Spacegrau und PRODUCT(RED). Die rote Ausführung wirkt natürlich besonders pfiffig und auffällig; aber das muss man auch mögen. Die blaue Version wiederum sieht hingegen vor allem auf Apples Produktseiten und im hellen Tageslicht unheimlich schön blau und gediegen aus. Doch in den meisten anderen Situationen ist das Blau so dunkel, dass es ohne genaueres Hinsehen fast als Schwarz durchgeht.
Das Blau ist wahnsinnig schön, irrsinnig dezent … und in den finsteren Wintermonaten wohl nur selten als Blau zu erkennen
Quelle: PCtipp.ch
Häufig werden in Foren von angehenden Käufern die Bedenken geäussert, dass die Aluminium-Version zu schnell verkratzt – denn aus Aluminium ist auch die Folie in der Küche und die verträgt ja gar nichts. Doch nach meinen Erfahrungen ist genau das Gegenteil der Fall, auch bei der sorgfältigsten Behandlung. So waren alle meine Aluminium-Modelle am Ende des Jahres von Neuware kaum zu unterscheiden. Auf den Edelstahlmodellen waren jedoch stets hauchdünne Mikrokratzer zu sehen; sie sind wohl der Preis, der für das Hochglanz-Finish bezahlt werden muss.
Neben der günstigen Aluminium-Ausführung wird die Apple Watch in Edelstahl angeboten, und zwar in Gold, Silber und Graphit. Die Titan-Ausführung in «Space-Schwarz» wirkt in jeder Hinsicht edel und geschmeidig. Der Hingucker ist ab 878 Franken zu haben, doch die Anmutung lässt den Preis in den Hintergrund treten. Allerdings muss das Geld wirklich sehr locker sitzen, denn eines ist sicher: Auch diese Apple Watch ist in einem Jahr nicht mehr das neuste Modell. Dasselbe gilt erst recht für die Hermès-Ausführung mit ihren exklusiven Armbändern und Zifferblättern; hier starten die Preise bei 1299 Franken.
Auf jeden Fall sind die Kombinationen aus Modell, Farbe und Armband so zahlreich, dass kein Mensch mehr durchblickt. Wenn Sie bei Apple direkt bestellen, können Sie jedoch eine beliebige Kombination dieser Elemente im Apple Watch Studio zusammenstellen. So gibt es auch keine Reibungsverluste, weil ein ungeliebtes Armband zum Lieferumfang gehört und gleich durch ein anderes, separat gekauftes Band ersetzt werden muss.
Im «Studio» bleibt kaum ein Wunsch nach einer bestimmten Kombination unerfüllt
Quelle: Screenshot / Apple Inc.

LTE und WLAN plus Fazit

Alle Modelle der Series 6 sind WLAN-fähig. Seit neustem verstehen sie sich auch mit dem 5-GHz-Band, sodass es nicht mehr zu Verbindungsabbrüchen kommt, wenn die Apple Watch und das iPhone in einem reinen 5-GHz-Netz zu voneinander getrennt werden. Ausserdem sind fast alle Modelle mit einer eSIM ausgerüstet; damit können Sie unterwegs auch ohne iPhone telefonieren, Musik aus der Cloud hören (wenn es der Dienst unterstützt), Nachrichten empfangen und mehr.
Doch nur beim Aluminium-Modell muss entschieden werden, ob das Gerät mit oder ohne eSIM gekauft wird; bei allen anderen Modellen ist sie automatisch an Bord. Der Aufpreis beträgt 100 Franken und wenn diese Eigenschaft gewünscht wird, reduziert sich der Preisunterschied zur Edelstahl-Version von 380 Franken auf 280 Franken.
Übrigens können auch Familienmitglieder mit einer Apple Watch beglückt werden, die noch kein iPhone haben, also vermutlich die jüngsten Sprösslinge. Die Konfiguration einer alleinstehenden Apple Watch ist aber nur möglich, wenn die eSIM vorhanden ist; das kleinste Aluminium-Modell ist also aus dem Rennen.

Fazit

Die Apple Watch Series 6 steht für die konsequente Weiterführung des Weges, den Apple eingeschlagen hat. Dabei sind die Funktionen und Sensoren heute so zahlreich, dass sie jeder für sich entdecken muss. Einige werden von den ausgefuchsten, zahlreichen Fitness-Programmen angezogen. Andere wünschen sich einen Schutzengel, der mit Sturzerkennung oder der Überwachung des Herzrhythmus das Schlimmste verhindert. Gesunde Faultiere schätzen hingegen die fein abgestimmten Informationen und Benachrichtigungen, die nur eine Drehung des Handgelenks weit entfernt sind. So oder so: Für iPhone-Besitzer kommt keine andere Smartwatch auch nur in die Nähe dieses kleinen Wunderwerks.

Testergebnis

Tempo, Display, Sensoren und Überwachung, Apple Pay, Auswahl an Bändern, LTE-Fähigkeit, sehr flexibel bestell- und konfigurierbar
Enormer Funktionsumfang steigert die Komplexität, USB-A-Stecker

Details:  Always-On-Display mit 40 oder 44 Millimeter, GPS, LTE (optional), Messungen: EKG, Herzfrequenz, Herzrhythmus, Blutsauerstoff, wasserdicht bis 50 Meter, watchOS 7

Preis:  ab 419 Franken

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