Frisches Blut 21.12.2020, 10:00 Uhr

Test: Fujifilm X-S10

Sie bietet enorm viel und das zum kleinen Preis. Einige Käufer werden jedoch über ihren Schatten springen müssen.
Viele Eigenschaften ihrer grossen Schwester zum günstigen Preis
(Quelle: Fujifilm)
Ich bin bekennender Fujifilm-Fan – und das seit der Fujifilm X100S aus dem Jahr 2013. Die hervorragende Bildqualität und die nicht weniger beeindruckenden Objektive sind natürlich wichtige Gründe. Aber vor allem bin ich den mechanischen Bedienelementen verfallen: Der klickende Blendenring und die altmodischen, aber unglaublich ergonomischen Einstellräder für die Verschlusszeit, den ISO-Wert oder die Belichtungskorrektur sind in meinen Augen einfach unerreicht.

Das war früher anders

Und nun steht die neue Fujifilm X-S10 auf dem Prüfstand und sorgt für leichte Irritationen. Denn einerseits bietet die Kamera viele gehobene Eigenschaften des aktuellen APS-C-Spitzenmodells, der X-T4 (Test) – nur zu einem deutlich günstigeren Preis. Ein rudimentärer Online-Vergleich zeigt, dass für das Gehäuse der X-T4 derzeit für etwa 1725 Franken gehandelt wird, während jenes der X-S10 für gerade einmal 999 Franken den Besitzer wechselt.
Allerdings sieht die X-S10 ihrer grossen Schwester nicht sehr ähnlich, vom dominanten Schriftzug über dem Klappblitz einmal abgesehen. Wo das Rad für die Verschlusszeiten sein sollte, warten jetzt die Wahl der Voreinstellungen und der Belichtungsprogramme. Das Rad für den ISO-Wert wurde durch ein unbeschriftetes Modell ersetzt, das für alles Mögliche verwendet werden kann. Einzig der mechanische Blendenring bildet eine Konstante; aber der kommt ja mit dem Objektiv. Offensichtlich wollte Fujifilm Neueinsteigern in dieses System das Verständnis erleichtern.
Vom Schriftzug abgesehen, könnte es sich auch im die Kamera eines anderen Herstellers handeln
Quelle: PCtipp.ch
Der OLED-Sucher bietet eine Auflösung von 2.36 Millionen Pixeln bei 100 fps und einer Vergrösserung von 0.62. Brillenträger sehen die Ecken deutlich geschwärzt und die obere und untere Kante sind nur zu erraten, sodass das gut erreichbare Rad für die Korrektur der Dioptrien zu einer reizvollen Alternative wird.

Alles im Griff

Doch dann lichten sich die Wolken. Mit ihren bescheidenen Abmessungen und einem Gewicht von gerade einmal 465 Gramm (ohne Objektiv) fühlt sich die X-S10 federleicht an. Vor allem aber gefällt der sehr grosse Wulst an der Vorderseite, der für einen sicheren Griff sorgt. Selbst wenn Sie die Kamera einhändig halten, weil Sie den anderen Finger für die Fokussierung via Touchdisplay benötigen, lässt sich die X-S10 problemlos mit einem guten Gefühl der Sicherheit bedienen. Allerdings ist das Gehäuse nicht gegen Regen, Gischt und das Wetter als solches geschützt.
Die X-S10 kommt mit einem frei dreh- und schwenkbaren Touch-Display, das sich auch umgedreht versenken und somit schützen lässt. Diese geschlossene Position hilft auch als therapeutische Massnahme gegen das Chimping, falls Sie diese lästige Zwangshandlung endlich ablegen möchten.

Anpassungen ohne Ende

Die X-S10 ist schier endlos anpassungsfähig und bleibt dabei stets zugänglich. Es lohnt sich, eine Stunde oder zwei darin zu investieren, sich die Kamera auf den Leib zu schneidern. Das beginnt bei den Einstellrädern und Tasten auf dem Gehäuse, die fast beliebige Funktionen wahrnehmen können. Das klappt so gut, dass ich mir gewünscht hätte, dass die Tasten unbeschriftet sind – denn so sind sie garantiert nicht falsch beschriftet. Bei einigen Fujifilm-Kameras wurde das so umgesetzt, aber hier schien das den Fujifilm-Ingenieuren wohl nicht ganz geheuer.
Nahezu jedes Bedienelement lässt sich anpassen
Quelle: PCtipp.ch
Das Q-Menü sorgt dafür, dass die wichtigsten Einstellungen in einem Raster abgerufen werden können. Dahinter verbergen sich anschliessend die Filmsimulationen, Blitzeinstellung und was der Fotograf sonst noch als nützlich erachtet. Wenn Sie mit dem Q-Menü durch sind und die Tasten wunschgemäss belegt haben, werden Sie das klassische, aber gut strukturierte Menü nur noch selten sehen.
Das Q-Menü sorgt dafür, dass das klassische Kamera-Menü nur noch selten bemüht werden muss
Quelle: PCtipp.ch
Und schlussendlich werden die Anpassungen beim Display vorgenommen, sodass genau das gezeigt wird, was nötig und wichtig ist. Doch sogar hier unterscheidet die X-S10 zwischen dem Sucherbild und dem Touch-Display auf der Rückseite.

Stabilisator

Zu den wichtigsten Eigenschaften gehört der 5-Achsen-Bildstabilisator (kurz: IBIS, für «In Body Image Stabilization»). Er wurde für die X-S10 komplett neu entwickelt und ist um 30 Prozent geschrumpft. Allerdings kompensiert er «nur» 6 statt 6.5 Belichtungsstufen, wobei diese Hersteller-Angaben immer sehr schwer zu überprüfen sind. Idealerweise ist auch das Objektiv selbst stabilisiert. Doch schlussendlich hängt es vom Motiv und der Szene ab, wann ein scharfes Bild auch «scharf genug» ist. Sechs Belichtungsstufen sind da eher als Notnagel zu verstehen – und nicht als Garant für knackscharfe Fotos, die dieses Prädikat auch verdienen.

Licht und Schatten

Die X-S10 kommt mit einigen Funktionen, die für eine höhere Ausbeute bei actionlastigen Fotos sorgt. Mit der «Pre-Shot»-Funktion werden bei halb durchgedrücktem Auslöser bis zu 10 Bilder pro Sekunde auf Vorrat aufgenommen; sobald der Auslöser durchgedrückt wird, speichert die Kamera bis zu 15 weitere Bilder ab. Dabei werden die Bilder so schnell in die Kamera gehämmert, dass das Zeitfenster relativ kurz ist und es immer noch ein wenig Gespür für den richtigen Moment braucht. Wird dann auch noch in der Qualitätseinstellung «RAW+Fine» fotografiert, ist die Kamera erst einmal eine Minute damit beschäftigt, die Fotos auf die Speicherkarte zu schreiben – oder auch länger, wenn die Karte nichts kann.
Leider ist der Modus nur sehr umständlich zu erreichen. Bevor der Pre-Shot-Modus in den Menüs aktiviert werden kann, muss zuerst vom mechanischen auf den digitalen Verschluss gewechselt und der «Drive»-Modus geändert werden! Wo es eigentlich nur einen Handgriff brauchen würde, konstruiert Fujifilm deren drei.
Der Auslöser selbst ist ebenfalls gewöhnungsbedürftig, weil er sich schwammig anfühlt – sehr schwammig! Vor der ersten Aufnahme dachte ich, dass der Druckpunkt viel zu weich ist, bis ich merkte, dass ich dort noch längst nicht angekommen bin. Tatsächlich ist das jene Eigenschaft, die mich an der X-S10 am meisten stört, weil sie sich bei jeder einzelnen Aufnahme bemerkbar macht.

Filmsimulationen

Es gibt sie zwar genauso lange, wie die X-Serie selbst – aber kein Test ist vollständig, ohne dass die Filmsimulationen erwähnt werden. Sie sind das Erkennungsmerkmal der X-Serie schlechthin. Bei JPEG-Aufnahmen werden die Farben und Kontraste so manipuliert, dass die Anmutung der analogen Fuji-Filme entsteht. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die allgegenwärtigen Effekte im Instagram-Stil, sondern um subtile Anpassungen. Auch die Schärfe der Bilder bleibt unverändert hoch.
Ein und dieselbe Aufnahme mit verschiedenen Filmsimulationen: Sie lassen sich auch nachträglich in der Kamera auf RAW-Dateien anwenden
Quelle: PCtipp.ch
Die Auswahl ist über die Jahre und Modelle angewachsen. Heute sind nicht weniger als 18 Simulationen abrufbar; allerdings zählen dazu auch je vier Varianten für gewöhnliche Schwarzweiss-Aufnahmen mit Farbfiltern (Rot, Gelb, Grün, ohne) und die Simulation des legendären Acros-Films. «Sepia» wiederum ist ein Effekt, aber keine Filmsimulation.

Filmkorn

Ein ebenfalls sehr reizvoller Effekt ist das synthetische Filmkorn, das JPEGs weiter aufbretzelt. In den Menüs kann zwischen den Optionen «Aus», «Stark» und «Schwach» gewählt werden, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich schwankt die Intensität mit der verwendeten ISO-Einstellung – halt genauso, wie es bei einem analogen Film der Fall wäre. Das Filmkorn wirkt mit Acros besonders überzeugend, lässt sich aber auf alle Filmsimulationen anwenden.
Dieses Filmkorn ist übrigens nicht einfach ein netter Effekt, sondern kann Bilder in Grenzsituationen aufwerten. So erzeugt es auch an hoffnungslos unter- oder überbelichteten Stellen ein wenig Struktur, was die Bildwirkung deutlich verbessert, vor allem im Druck. Hier die Übersicht, mit ausgefressenen Lichtern im Himmel:
Ausgefressene Lichter: Die sind nicht mehr zu retten
Quelle: PCtipp.ch
Und hier der Unterschied zum digitalen Korn:
Das künstliche Filmkorn (oben) gibt dem Bild und dem Druck ein wenig Zeichnung, wo keine mehr ist
Quelle: PCtipp.ch

Capture One

Gerade die Filmsimulationen üben einen ungemeinen Reiz aus – doch leider sind sie nicht auf RAW-Dateien anwendbar. Das lässt sich ändern: In Zusammenarbeit mit dem Hersteller Phase One steht eine kostenlose Version des RAW-Converters «Capture One Express» zum Download zur Verfügung. Die «Fujifilm Edition» versteht sich allerdings nur mit RAW-Dateien aus Fujifilm-Kameras. Ausserdem wurde sie um einige wichtige Funktion beschnitten, ein Upgrade ist jedoch möglich. Hier finden Sie den ausführlichen Test zu Capture One 20 – inklusive einer Anleitung durch den Dschungel der verfügbaren Versionen.
Capture One gehört mit zu den besten RAW-Entwicklern auf dem Markt
Quelle: PCtipp.ch
Für mich ist Capture One einer der besten, wenn nicht der beste RAW-Converter überhaupt – aber da spielen bei jedem Fotografen die persönlichen Vorlieben mit. Jedenfalls kann die Software die begehrten Filmsimulationen auch auf RAW-Dateien anwenden:
Unter anderem lassen sich die Filmsimulationen mit einem Knopfdruck auf RAW-Dateien anwenden
Quelle: PCtipp.ch
Damit bleiben die Vorzüge von RAW erhalten, ohne dass man dabei auf die Filmsimulationen verzichten muss.

Videos

Videos spielten lange Zeit nicht die erste Geige bei Fujifilm, schliesslich liegt der Schwerpunkt auf der Fotografie. Das hat sich in den letzten Jahren jedoch deutlich geändert. Die X-S10 bringt denn auch alles mit, um den Video-Blogger (neudeutsch: Vlogger) glücklich zu machen. Das fängt beim um 180 Grad schwenk- und neigbaren Display an, um sich selbst zu kontrollieren. Dabei sorgen der Gesichts- und der Augenautofokus dafür, dass der Moderator stets scharf abgebildet wird.
Die Kamera filmt ausserdem in 4K mit 30 fps oder in Full-HD mit 60 fps, wobei die begehrten Filmsimulationen nach Belieben zuschalten lassen. Vor allem aber ist es die Qualität, die begeistert: Die Filme sind frisch aus der Kamera gestochen scharf, hervorragend ausbalanciert und sehr gefällig in der Farbgebung. (Auch hier: Die Filmsimulationen von Fujifilm lassen grüssen.)
Bei Aufnahmen aus der Hand zeigt sich aber schnell, dass der IBIS nichts zu ruhigeren Filmen ohne Stativ beiträgt. Viel besser wird es erst mit einem stabilisierten Objektiv, in unserem Fall mit dem 18–55-Millimeter-Zoom ƒ2,8–4. Der Autofokus braucht bei schwachem Licht manchmal einen kurzen zweiten Anlauf – aber die Kamera «pumpt» nicht. Bei normalem Tageslicht trifft er sein Ziel hingegen punktgenau.
Anspruchsvolle Filmer werden sowieso auf externes Equipment zurückgreifen. Die X-S10 bietet drei Anschlüsse: Micro-HDMI, eine Mikrofon-Klinke und einen USB-C-Anschluss, der über einen Adapter auch einen Kopfhörer bespielt. Direkt auf SD-Karte werden im besten Fall 4K-Filme mit 30 fps, 8 Bit und einer Farbunterabtastung von 4:2:0 aufgezeichnet; über Micro-HDMI sind hingegen 10 Bit Farbtiefe bei 4:2:2 möglich.
Die X-S10 verfügt über eine dedizierte Filmtaste neben dem Auslöser, mit dem spontan eine Aufnahme gestartet werden kann. Wird das Modus-Wählrad jedoch auf das Kamerasymbol gedreht, leitet der reguläre Auslöser die Aufnahme ein. Ausserdem werden weitere Informationen eingeblendet, wie zum Beispiel der Tonpegel. Praktisch ist auch, dass die Filmeinstellungen in dieser Position separat gespeichert werden und den Foto-Einstellungen somit nicht in die Quere kommen.

Kaufberatung und Fazit

Fujifilm-Puritaner werden beim ersten Anblick vielleicht ein wenig die Nase rümpfen. Doch nach einer sehr kurzen Gewöhnungsphase zeigt die X-S10, was in ihr steckt. Sie bietet einerseits ein durchdachtes Bedienkonzept und andererseits genug Möglichkeiten zur Anpassung, um jede Vorliebe zu beachten. Die Videofunktionen überzeugen nicht zuletzt durch die Filmsimulationen. Und schlussendlich sorgen der schnelle Autofokus und die Pre-Shot-Funktion dafür, dass der «perfekte Moment» in den meisten Fällen erfolgreich eingefangen wird.
Vor allem aber punktet die X-S10 mit ihrer Bildqualität. Der X-Trans-Sensor der vierten Generation bewältigt auch sehr hohe Kontraste, während die Filmsimulationen den Bildern eine sehr gefällige, authentische Anmutung verleihen. Den Rest erledigt die Objektiv-Linie, die unterdessen kaum mehr Wünsche offenlässt.
Zu bemängeln gibt es wenig. Der Auslöser ist definitiv zu weich und fühlt sich an, als würde man ein Gummibärchen drücken. Einige Funktionen wie den Pre-Shot hätte man ausserdem viel einfacher umsetzen können. Und dann gibt es noch einige Elemente, die weggelassen wurden, weil es auf der kleinen Kamera schlicht keinen Platz mehr gab, etwa das Steuerkreuz auf der Rückseite – aber das kann man ihr schwer zum Vorwurf machen.
Es lässt sich wohl nicht verhindern, dass gestandene Fujifilm-Fotografen bei einigen Eigenschaften über ihren Schatten springen müssen. Aber vielleicht gehören die Aufsteiger ja gar nicht zur Zielgruppe, sondern viel mehr die Einsteiger in dieses System – und die werden die vertrauten Elemente gerne zur Kenntnis nehmen.

Fazit

Die Fujifilm X-S10 ist in mancher Hinsicht eine positive Überraschung und liefert deutlich mehr, als man ihr auf den ersten Blick zutraut. Ihre Fujifilm-typischen Eigenschaften und das hervorragende Preis-Leistungsverhältnis sorgen dafür, dass diese Kamera einige Alleinstellungsmerkmale bieten kann. Das tröstet auch über die kleinen Schnitzer bei der Ergonomie hinweg. Unter dem Strich gehört diese Kamera zum Besten, was die APS-C-Klasse zu bieten hat.

Testergebnis

Bildqualität, Anpassungsfähigkeit, Display, Filmsimulationen, Objektivauswahl, Griffigkeit
Auslöser, zum Teil sehr verschachtelte Einstellungen

Details:  Systemkamera im APC-C-Format, 26 Mpx, IBIS, 80-51200 ISO, Aufklappblitz, Videos bis 4K mit 30 fps, Schwenkdisplay, USB-C

Preis:  999 Franken (Gehäuse)

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