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22.02.2016, 00:21 Uhr
LG macht, worüber Samsung spricht
Samsung präsentiert das Galaxy S7 gewohnt überschwänglich und will das Smartphone wieder einmal komplett neu erfunden haben. Viel mehr Potenzial hat hingegen LG.
Mit viel Pomp haben Samsung und LG ihre neuen Flaggschiff-Smartphones vorgestellt. Kein Zweifel: Beide Geräte sehen toll aus, bedienen sich ausgezeichnet und verfügen über alle Schikanen, die man sich von teuren Handys der letzten Jahre gewohnt ist. Allerdings unterscheiden sich die beiden Unternehmen in einem Punkt gewaltig:
Der Ausdruck «wahrhaftig neu definiert» fällt bei der Präsentation der neuen Samsung-Galaxy-Modelle gefühlt alle 30 Sekunden. Alles ist besser als zuvor und selbstverständlich besser als bei der Konkurrenz. Wobei sich immer wieder die Frage stellt: Weiss der Produktmanager von Samsung, was «neu definiert» heisst? Kippt er sich gerne von Zeit zu Zeit einen Löffel Zucker in den Tee und freut sich darüber, Heissgetränke neu definiert zu haben?
LG auf der anderen Seite konzentriert sich weniger auf die Technologie und mehr auf den Nutzen. Technische Daten fallen selten, Vergleiche zu anderen Anbietern fehlen und es wird deutlich weniger mit Superlativen um sich geworfen. Dabei hätte LG mindestens genauso gute Gründe wie Samsung, etwas lauter zu werben. Wahrscheinlich sogar bessere.
Härter, besser, schneller, stärker
Die Neuerungen des Galaxy S7 lassen sich relativ einfach unter «schneller als das S6» zusammenfassen. Potenzial für grössere Veränderungen gibt es höchstens bei der Kamera und der Grafik-API Vulkan. Wobei Letztere nicht von Samsung selbst stammt, das S7 ist lediglich das erste Smartphone, das Vulkan im grossen Stil unterstützt. Dass Vulkan schneller ist als OpenGL ist kein Geheimnis. Wie gross der Unterschied jedoch in der Praxis aussehen wird, muss sich noch zeigen. Schliesslich hat fotorealistische 3D-Grafik für Entwickler von Mobile-Games eher niedrige Priorität. Candy Crush Saga funktioniert auch ohne Vulkan.
Und auch bei der Kamera erweist sich Samsung hauptsächlich als Pionier innerhalb des Gerätetyps. Die grosse Revolution der doppelt belegten Pixel (½ für die Aufnahme, ½ für den Autofokus) stammt ursprünglich von Canon und wurde von Samsung für das Smartphone adaptiert. Alle Verbesserungen des Galaxy S7, wie die maximale Blendenöffnung von f/1,7 oder die neuen App-Verknüpfungen im Edge-Bereich, sind natürlich willkommen und, zumindest soweit durch ein kurzes Hands-on zu beurteilbar, gut ausgeführt. Allerdings ist es bei Weitem nicht die «wahrhaftige Neudefinition», die Samsung von der Bühne posaunt. Das ändert sich auch nicht, wenn man den Ausdruck oft wiederholt und auch nicht durch Mark Zuckerberg auf der Bühne. Das Galaxy S7 ist eine Evolution des S6 und hätte eigentlich auch Galaxy S6 Plus heissen können. Oder Galaxy S6G, wegen des starken Gaming-Fokusses.
Den Mittelweg gefunden
Etwas anders sieht es bei LG aus. Der Wow-Moment kommt nicht durch eine VR-Produktion mit aufwendigen 3D-Animationen und lauten Stadionlautsprechern, sondern durch eine einfache Handbewegung des Präsentators: Er zieht ganz einfach den Akku aus dem Smartphone. Das LG G5 hat sich einige Elemente von Googles modularem Smartphone Project Ara abgeschaut. Allerdings geht LG nicht komplett All-In bei der Modularität, sondern beschränkt die Funktion auf ein paar spezifische Funktionen. Allem voran: der wechselbare Akku. Die Batterie wird einfach mitsamt der unteren Einfassung vom Rest des Smartphones weggezogen. Die Verankerung wird durch eine kleine Taste auf der Seite des Phones gelöst. Der Vorgang, der sich eher knifflig anhört, geht erstaunlich leicht von der Hand.
Neben dem wechselbaren Akku kann das LG G5 auch durch diverse Module erweitert werden. Derzeit sind zwei ansteckbare Module fertig entwickelt: ein Kameragriff mit zusätzlicher Akku-Erweiterung und ein Kopfhörerverstärker von Bang & Olufsen. Beide lassen sich einfach am unteren Ende des Smartphones anschliessen. Der Akku wird dabei in das neue Modul eingesetzt, das dann in das G5 geschoben wird. LG will das Portfolio an Modulen kontinuierlich erweitern und durch weitere Module ergänzen. Vor allem, wenn die bestehenden Module gut ankommen.
Was LG präsentiert, ist ein gelungener Mittelweg zwischen dem ultra-radikalen Project Ara und dem bisherigen Status quo. Ob sich LGs Ökosystem von Modulen durchsetzen wird, muss sich erst zeigen. Es ist jedoch gut möglich, dass sich andere Hersteller schnell von der Idee überzeugen lassen und entweder ein eigenes Ökosystem von Modulen anstreben oder sich mit LG auf einen Standard für alle eignen.
Zumindest wäre ich nicht erstaunt, wenn das iPhone 7 oder das Galaxy S8 das Smartphone «wahrhaftig neu definiert» und ein modulares System präsentiert.
22.02.2016